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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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angelegt hatte. Eiskalt, ohne den Adelsgenossen auch nur anzusehen, ging sie vorüber, nicht einmal wie ein lästiges Insekt abzuschütteln brauchte sie ihn mehr. Es folgte daraus übrigens eine ‘‘schwere Säbelkiste’’ – sie hatte jetzt schon einige Bewunderer, die sich für sie schlugen – dem gewandten Herrn bekam seine Gewandtheit sehr übel.
    Vollends ins Ungemessene stieg die Bewunderung bei allen Kommilitonen, als „Marie-Therese“, wie sie jetzt allgemein genannt wurde, dem Herrn Geheimrat selbst einmal sehr deutlich die Meinung sagte.
    Der hohe Herr war stets höflich zu den Damen in seinem Institut, aber er liebte es gelegentlich, sich ein wenig lustig zu machen über die kleinen Schwächen ihres Geschlechts, so wie er sie sa h, oder zu sehen glaubte. Wenn er guter Laune war, beehrte er nämlich auch einmal das Laboratorium, wo sonst nur geringere Geister walteten, mit seiner Anwesenheit. Jedes laute Wort pflegte in solchen Augenblicken in dem weiten Raum zu verstummen, die Rücken wurden krumm und alle Hände arbeiteten mit verdoppeltem Eifer. Oft schon hatte sich Tess über dieses ‘‘Affentheater’’ geärgert und, als der ehrwürdige Herr einmal wiederkam, schob sie ihre Gerätschaften zurück, drehte die Gasflamme ab und setzte sich demonstrativ untätig auf ihren Schemel.
    „Nun, Fräulein von Leudelfingen“, sagte der Geheimrat, als er zu ihr kam, „sind sie ermüdet von der schweren Arbeit? – Oder sind es die Analysen! Die verteufelten Analysen! Tut mir ungemein leid, dass wir sie mit solch banaler, proletarischer Arbeit behelligen müssen. Wie viel lieber würde ich ihnen – hm – ‘‘Mystik Kompakt’’ – oder – nun – ‘‘Uralt Lavendel’’ zur Bearbeitung geben.“
    Tess erhob sich langsam – dreißig Augenpaare verfolgten jede ihrer Bewegungen – die Falte zwischen den Brauen, die sich in diesem Raum erst gebildet hatte, wurde scharf wie ein Messerschnitt. Jetzt stand sie vor dem Gewaltigen. Sie wirkte klein gegen den ‘‘langen Zeus’’, aber jeder Muskel ihres gestählten Körpers war gespannt. Unwillkürlich trat der große Mann einen Schritt zurück, wobei er über sich selbst zu lächeln sich bemühte. Aber dieses Lächeln erstarb vor dem flammen sprühenden Blick, der ihn jetzt traf.
    „Die Analysen sind mir schon recht, Herr Professor“, sagte Tess, vielleicht ohne es zu bemerken, dass sie ihm den Geheimratstitel unterschlug, „aber sie müssen einem auch erklärt werden. Wenn sie einmal etwas öfter aus ihrer Wolkenhöhe herabsteigen und ihrem Assistenten zu Hilfe kommen wollten, würde hier ersprießlichere Arbeit geleistet werden. Es ist doch ganz unmöglich, dass Herr Doktor Riemenschneider allein dreißig Tische zur Seite stehen kann.“
    Der ‘‘Professor’’ wurde aschfahl im Gesicht, im Gegensatz zu seinem Assistenten, der wie Feuer glühte. Jeder Atem in dem Raum erstarb, es wurde so still, dass man aus der entferntesten Ecke das ‘‘Donnerwetter’’, das einem besonders kecken Munde entfuhr, bis in die Nähe seiner Übermenschlichkeit hören konnte. Jeder Einzige in dem Saal erwartete in jedem Bruchteil der Sekunde den Vulkanausbruch, der jetzt kommen musste und – wurde enttäuscht. Der Herr Geheimrat beherrschte sich, wurde eiskalt und sagte der jungen Dame, über die er weit hinwegsah: „Ja, gnädiges Fräulein, ich werde noch einen Assistenten einstellen. Ich danke verbindlichst für die Aufmerksamkeit!“ Damit wandte er sich um und ging hinaus, in einem gewandten Schritt, wie ihn seit Jahrzehnten niemand mehr an ihm beobachtet hatte.
    Ein homerisches Gelächter, das losbrechen wollte, wurde von dem guten Riemenschneider, der sich beschwörend ge gen die Meute erhob, noch im Keime erstickt. Dass man sich auf die Schenkel klopfte, dass man Freudentänze aufführte, dass man spontan in einen Sympathiestreik mit der Heldin eintrat, das konnte er freilich nicht verhindern.
    Tess packte still ihre Sachen fort und – sah sich etwas ängstlich um; die Kameraden drängten von allen Seiten heran. „Lasst mich!“, gebot sie mit etwas belegter Stimme, aber noch immer stark und herb. Da senkten sich die Arme, die sie auf die Schulter heben wollten, der Kreis öffnete sich, wie schon so oft vor ihr, und, verfolgt von stummen, begehrenden und resignierenden Blicken ging sie hinaus. Jeder einzige ihrer leisen, schmalen Tritte war in dem ganzen Raum zu hören. Dieses Schweigen war die größte Huldigung, die dreißig junge Männer

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