Entfesselte Energien (Band 1)
Meine Herrn“, begann Riemenschneider – er sprach nie anders zur Gruppe, obwohl zwei Damen im Kreise saßen – „wir wollen uns heute mit Atomenergie beschäftigen. Hier sind drei kleine Abhandlungen über dieses Thema, von einem Deutschen, einem Schweden und einem Engländer. Nehmen diejenigen Herrn sie an sich, die darüber das nächste Mal referieren wollen.“
Etwas zaghaft streckten sich einige Hände vor, auch Tessis Kinderhand war darunter. Das englische Exemplar überließ man ihr gern, wer hätte das auch lesen können! Es war im Urtext. Die Bücher verschwanden und alle sahen gespannt auf das Antlitz des Lehrers, das eben von einem feinen Lächeln überflogen wurde.
„ Heine Herrn“, sagte er etwas vertrauter, „man ist mit einer Anregung an mich herangetreten, gegen die ich – hm – mich kaum ablehnend verhalten möchte. Die Sache ist die: Man regt an, wir sollten – hm – einmal einen – sagen wir Ausflug – gemeinsam – nach Bebenhausen vielleicht – machen. – ?“
„ Glänzend!“, riefen Tess und Lore fast gleich zeitig. Die Herrn Studenten trampelten wüst Beifall.
„ Kaffee kochen!“, wagte Lore noch vorzuschlagen, wurde aber sofort ganz rot über ihre etwas hausbackene Anregung. Die Herrn schlugen sich auf die Schenkel vor unbändiger Heiterkeit. Sogar ‘‘Er’’ lächelte darüber in herzlicher Freude.
„ Ja, also – die Anregung scheint ja – hm – auf fruchtbaren Boden zu fallen und – wir könnten ja dann auch – über das Nähere – hm – sogleich uns schlüssig werden, meine Herrn? Oder meinen sie dass wir erst das heutige Thema …“
„ Ach nein, Herr Doktor“, fiel hier candidatus chemistriae Wedekamp freundlich ein, „wir bitten alle herzlich heute einmal ausnahmsweise fünf – oder auch sieben – gerade sein zu lassen.“
Stürmische Heiterkeit unterbrach ihn, wie sie auch bei ernsten Männern immer dann lose zu sitzen pflegt, wenn in eine sonst sehr hohe, geistige Atmosphäre plötzlich eine ganz außerordentliche Freude einschlägt. Hände wurden gerieben, strahlende Blicke ausgetauscht und im Nu sprangen alle auf und umringten den geliebten Lehrer, der sich schleunigst auf das Katheder flüchten musste, von wo er die einzelnen Vorschläge entgegennahm, um sie bis zum Montag ‘‘gewissenhaft zu überprüfen und gegeneinander abzuwägen’’. Dann ließ er dieses Thema fallen, blickte ernst und sachlich in die Gruppe, womit er jedes Lächeln sofort auslöschte. Er trug seinen Gegenstand vor, verteilte Arbeiten, stellte Fragen, ganz wie sonst, nur dass heute seine Augen noch strahlender, der Ton seiner Stimme noch wärmer erschien, als man es selbst von ihm gewohnt war.
Am Nachmittag suchte Franz die Freundin in ihrer Wohnung auf. Sie lachte über sein Erröten und verbat sich das ‘‘Sie’’, in das er immer wieder verfiel. „Jetzt bedenke, dass wir hier Freunde sind und – sein dürfen! Keiner hat uns mehr drein zureden. – Hörst du noch manchmal etwas von zuhause. Franz? Schreibt dir noch irgendjemand?“
Franz sah die, die so fragte, groß an, hatte sie denn ganz mit den Eltern gebrochen? „Dann wissen sie – weißt du noch gar nicht, dass der Graf R-S deiner älteren Schwester einen Heiratsantrag gemacht hat?“
Tess erstarrte. „Franz, das ist nicht möglich! Wer hat dir das erzählt?“
„ Der Gärtner, der gute Heuerling schreibt mir noch manchmal, also weiß ich zuverlässig, dass es wahr ist. Eine Zeit lang hat das ‘‘Säbelbein’’ – Tess lachte heimlich – sich nicht mehr sehen lassen. Dann trafen sie sich so zufällig mal hier und mal da, und jetzt kommt er fast täglich aufs Schloss.“
Tess war noch eine Weile sprachlos, dann brach sie in ein schallendes Gelächter aus. „Also nur auf die Familie kommt’s ihm an; wenn’s die Amalie nicht gewesen wäre, hätte er vielleicht auch Tante Eberhardine genommen. Wundervoll! – Du siehst, Franz, wie gut es war, dass ich damals ausgerissen bin. Um Gotteswillen!“
„ Nur um die Frau Mutter tut mir’s leid, Tess.“
Tess wurde sehr ernst. „Die Mutter! Was weißt du von ihr?“
„ Dass sie noch oft von dir spricht und dass sie dir – viel mehr …“
„ Was viel mehr??“
„ Dir ihn viel mehr gegönnt hätte!“
Tess schüttelte unwillig den Kopf, während sie vor sich ins Leere sah. „Wie schlecht kennen sie mich doch! Alle!!“
„ Die Mutter hält es aber für ein sehr großes Glück, das der Amalie in den Schoß fällt. So sagt
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