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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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Ärzte zweifelten an dem Gelingen ihrer Operation; nicht einmal, was der nächste Tag bringen würde, könne man vorhersagen. Das alles hatte sich der alte Vater so zu Herzen genommen, dass er völlig zusammengebrochen war. Aber immer, wenn er einmal zu klarem Bewusstsein kam, rief er nach Tess. Irgendetwas Wichtiges wollte er ihr noch sagen, ehe er …
    O, Tess ahnte, was er ihr sagen wollte, und wenn sie auch alle ihre Kräfte zusammennahm, sie wusste nicht, wie sie es ertragen sollte.
    „ Gott sei Dank, die Mutter!“, rief sie, als der Wagen in den Hof einbog. Die Baronin zog ihr Kind förmlich aus dem Wagen und barg es wie ein verirrtes Täubchen unter ihren mütterlichen Armen.
    „ Tess. Tess! Gut, dass du grad kommst! Mein Kind! Mein Kind! Eigentlich soll mir dir’s gar net sage.“
    „ Doch, Mutter, ich muss alles wissen“, rief Tess, sich sanft aus der Umklammerung freimachend. „Hat Vater einen Schlaganfall gehabt?“
    „ Hat’s dir Ulli doch gesagt? – Nu komm erst mal rein, Kind!“ Man wollte sie noch schonen, sie sollte sich erst stärken von der Reise. Aber Tess ruhte nicht eher, als bis sie am Bett des Vaters saß und seine Hand hielt. Ein matter Strahl von Freude glitt über das Gesicht des Greises. Tess erschrak, das war das Gesicht eines Sterbenden.
    Zitternd tastete die Hand des Kranken nach der Tochter . Sie beugte das Haupt, das er seine Hand darauf lege. Aber leise versuchte er ihr das Kinn zu heben, um ihr ins Auge zu sehen. Dann hauchte er kaum hörbar:
    „ Marie – Therese, – bleib – bei – uns!“
    Tess sah ihn aus verschleierten Augen an und nickte.
    „ Amalia – ist – gestürzt. – Tot!“
    „ Nein Vater!“
    Er nickte. „Tot!“ Wieder tastete die bebende Hand und suchte die Ihrige. Eine Weile ruhte sie in ihr erschütternd waren die Versuche, sie noch zu drücken.
    Tess hielt es nicht mehr aus, sie weinte laut auf und brach vor dem Bett in die Knie, das Antlitz in die Hand des Vaters bettend. Nur das nicht hören, was er jetzt sagen will! Dachte sie und richtete alle ihre Kraft darauf, dass er das nicht sagen möchte. Nur das Eine nicht!!
    Aber er begann schon: „Wenn Amalie stirbt, – musst du …“
    Tess zitterte, als ob man ihr das Todesurteil verkündete.
    Ein Röcheln hinderte den Sterbenden weiter zu sprechen. Mit Aufbietung seiner letzten Kraft richtete er sich auf und suchte das Auge des Kindes. Eine Weile suchte er vergebens, gewaltsam presste sie das Antlitz in die Decken. Bis sie die Qual und das Ringen des Vaters nicht mehr aushielt . Sie hob ihr Antlitz und sah aus rot geweinten Augen nach der Richtung, aus der die furchtbaren Worte kamen:
    „ Jetzt – musst – du – ihn – nehmen!“
    Tess schrie gellend auf und brach ohnmächtig vor dem Lager des Sterbenden zusammen.

 
     
     
     
     
     
     
     

     

4 . Kapitel
     
     
     
     
    Tess wurde krank, sie lag oben in ihrem Turmzimmer im Bett. Oft war der Arzt da und – schüttelte den Kopf. Als sie wieder aufstehen konnte, war alles vorüber; der Vater und die Schwester waren schon in der Gruft beigesetzt. Die Trauergäste, auch der Graf R-S hatten das Schloss längst verlassen. Matt und blass ging sie im Schloss umher, wenn das Wetter gut war, durfte sie in einem Liegestuhl einige Stunden im Park in der Sonne liegen. Alle schonten sie, alle waren rücksichtsvoll, niemand rührte daran. Und doch spürte sie, wie die Mutter immer daran dachte und der Bruder – oft auf dem Sprung war, zu fragen.
    Tess dachte nach: Sie sagen nichts, weil es ihnen allen eine Selbstverständlichkeit ist; sie nehmen an, dass ich’s dem Vater auf dem Totenbett versprochen habe. Wie lange noch werden sie Rücksicht nehmen? Einmal muss es zur Sprache kommen. Also führte Tess selbst die Aussprache herbei, als sie am Abendtisch zusammensaßen und sie die Diener hinausgeschickt hatte.
    „ Morgen früh fahre ich ab“, erklärte sie bestimmt.
    Die anderen sahen sich an, als hätten sie nicht recht gehört.
    „Aber Kind, du willst uns doch nicht verlassen“, sagte die Mutter in korrektem Deutsch; daran hörte Tess, was es geschlagen hatte. Der Bruder schüttelte verständnislos den Kopf. Die alte Tante war die Erste, die Worte fand, die der Sache geradewegs zu Leibe rückten. Die Mutter fiel ein und der Bruder, der sonst so sanft war, schlug ebenfalls in die selbe Kerbe.
    Tess hatte eine solche Szene vorausgesehen und danach ihren Plan gefasst; sie verteidigte sich so wirkungsvoll, als es unter den gegebenen

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