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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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Leinenkittel in ihre Aktentasche und machte sich auf den Weg. Es war schwül draußen und merkwürdig lichtlos. Ein dunkles Wolkenheer zog oben gegen die Stiftskirche heran. Noch blitzte es nicht, aber die Luft war geladen. Die Gewalten spürte man, draußen oder im Bauch, man wusste es selbst nicht. Gewalten, gegen die die Werke von Menschenhand, und wäre es auch eine ganze, große, lichterfunkelnde Stadt, die in die Ferne, in die Bedeutungslosigkeit rückten. Tess spürte es, diese Urgewalten bedrohen nur dem Leib, das Leben, die Sinne, die Nerven. Aber sie machen die Seele frei; irgendetwas zerreißt in uns, ein Vorhang, vielleicht der Vorhang zum ‘‘Allerheiligsten’’, den wir gegen den Alltag heruntergelassen haben, um das Kostbarste vor seinen gierigen Augen zu schützen. Aber der ist eben nicht mehr nötig, weil unter dem Hämmern dieser Gewalten der Alltag zerbricht.
    Tess hatte nicht mehr auf den Weg geachtet, wo war sie denn eben? – In diesem Augenblick flammte das erste Wetterleuchten auf, zerriss den Himmel in zwei Teile, zuckte noch einmal – und noch einmal auf, in blendendem Blauviolett und zeigte ihr das chemische Institut mit allen Simsen und Fenstern dicht vor ihren Augen. Klar und deutlich sah sie Reihen von Flaschen auf den Arbeitstischen, auch einen großen kippschen Apparat und – Riemenschneider, wie er, ganz in seinen Beobachtungen verloren, sich weit über den Tisch lehnte. Es war wie eine Vision, aber sie wusste, diese Vision bedeutete Wahrheit. Eine köstliche Wahrheit. Sie dankte den Himmlischen für diese große Stunde und trat ein, doch ein bisschen bangend.
    Riemenschneider machte Licht, als er das Klopfen an der Türe hörte, und ging seiner Schülerin entgegen.
    „Es ist schön, dass sie kommen, Fräulein von Leudelfingen! Es gelingt heute bestimmt sehr gut.“
    Tess zitterte vor Glück. „Was für geheimnisvolle – faustische Apparate sind das? Darf ich das alles kennenlernen?“
    Riemenschneider nickte ihr liebreich zu, die Hand vergaß er ihr zu reichen, er war ganz in seine Gedanken versunken. Dann aber besann er sich doch darauf, dass er heute eine junge Dame zu Gast hatte, musterte sie besorgt und fragte etwas verlegen: „Aber ihr schönes Kleid, Baroness! Wird das nicht Schaden leiden?“
    Er hat ’s doch gesehen dachte sie, wurde rot, lächelte und bedauerte doch, dass sie nicht – Ach, Unsinn! „Ich ziehe einen weißen Kittel darüber“, sagte sie, „wie sie im Praktikum!“
    Während sie sich anzog, ging Riemenschneider schon wieder an die Apparate. „Erklären darf ich’s ihnen nun nicht“, sagte er, während er auf dem Tisch etwas suchte.
    „ Ach! Nein?“ Tess sah ihn traurig und bittend an.
    Da gab ihr der Doktor mit einem verschmitzten Lächeln, das Verheißungen in sich barg, einen Bogen Papier. „Da! Lesen sie das mal durch! – Wenn ich laut darüber spräche – ich weiß ja nicht, ob nicht irgendwo in diesem Raum versteckt ein Mikrofon angebracht ist.“
    „ Ah so, jetzt verstehe ich. Sehr gut! – Und diesen Bogen?“
    „ Habe ich eben geschrieben – für Sie! Wenn sie ihn gelesen haben, verbrenne ich ihn sofort an dem Bunsenbrenner.“
    „ Ja!“, sagte sie. Im Inneren schwor sie sich: nein! Den Zettel muss ich haben, mag kommen, was will!
    Eine Weile ließ ihr Riemenschneider Zeit und bereitete inzwischen andere Apparate vor. „Verstehen sie alles?“
    „ Bitte zeichnen sie mir das einmal auf, Herr Doktor!“
    Er zog einen Bleistift heraus und wollte nach alter Gewohnheit auf dem Tisch skizzieren, doch Tess schob ihm schnell und verschmitzt das Blatt Papier unter die Hand, sodass er auf dem freien Rand desselben seine Skizze anfertigte. „So! Sehen Sie? Ganz dicht aneinander. Eine Allee im Kleinen.“
    „ Ah ja!“
    „ Und hier stehen die Kanonen.“
    „ Und schießen die Elektronen zwischen den Bäumen hindurch! Dabei schießen sie neue Elektronen heraus. Ausgezeichnet! – Lassen sie uns nur anfangen, ich verstehe es.“
    „ Wollen sie die Schalttafel bedienen? – Den Handgriff – so! Und den – ganz recht! – Und dann dort das Licht ausschalten, wenn ich’s sage!“
    „ Und dann??“
    „ Nur beobachten!“
    „ Was?“
    „ Nur sehen, was passiert!“, lächelte Riemenschneider. „Diesen Zeiger beobachten, ob er Spannung anzeigt!“
    „ Ja.“
    „ Jetzt los!“
    Tess warf die Schalthebel herum, als hätte sie nie etwas anderes getan. Ein kleiner Schrei entfuhr ihr aber schon, als der Funkeninduktor

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