Entflammt von deiner Liebe: Roman (German Edition)
von Stepney bis nach Chelsea markieren.«
»Herrgott, Mann. Kommt endlich zum Punkt!«
»Ich schlage meine Zähne sozusagen in die Eingeweide dieser Stadt, Mylord«, sagte Kemble. »Ihr hingegen seid wie lange hier? Vier, fünf Monate? Vergebt mir, Rothewell, aber in London seid Ihr so hilflos wie ein Neugeborenes.«
Rothewell stellte sein Brandyglas ab und ging auf Kemble zu. »Hört mal zu, Sie aufgeblasener kleiner Scheißkerl«, knurrte er. »Wie könnt Ihr es wagen –«
Kemble hob einen Finger, und Rothewell blieb unerklärlicherweise sofort stehen. »Außerdem bin ich der Mann, dessen Aufgabe es ist, Eure Schwester vor allem Schaden zu bewahren. Ein toter Bruder würde, meiner Meinung nach, Schaden heraufbeschwören, weil die Lady unerklärlicherweise an Euch zu hängen scheint. Normalerweise ist sie in ihrem Geschmack ja anspruchsvoller.«
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, schien dieser Kerl auch noch Humor zu haben. Und trotz seines geckenhaften Auftretens war er nicht leicht einzuschüchtern. Rothewell entspannte sich und stieß ein abschätziges Knurren aus. »Ihr habt etwas von einem Dramatiker, richtig?«, sagte er und ging zu seinem Schreibtisch. »Doch ich kann selbst auf mich aufpassen, wo auch immer ich meine Unterhaltungen zu suchen pflege. Ich glaube nicht, dass mir Gevatter Tod auf den Fersen ist.«
»Wisst Ihr überhaupt, Mylord«, sagte Kemble, »wie viele Menschen im vergangenen Monat in London am Opiumkonsum gestorben sind?«
»Ich habe keine verdammte Ahnung.«
»Sechs, Mylord. Sechs, die gefunden wurden. Drei hat man bei Limehouse Reach aus dem Wasser gezogen, die anderen drei ein Stück weiter flussabwärts. Und von diesen sechs Männern wurden vier zuletzt im Satyr’s Club gesehen. Außerdem hinterlassen Euch die französischen Mädchen, die man dort anbietet, gern ein Andenken. Und zwar ohne ein Wort der Vorwarnung. Das Etablissement ist von Krankheitserregern nur so verseucht, und niemand wagt es, darüber zu sprechen – ich rede hier von Syphilis, Rothewell, nicht vom normalen Tripper. Die Syphilis raubt einem Menschen den Verstand, wisst Ihr das nicht? Ganz langsam, damit man auch Zeit hat, den Schrecken zu genießen.«
Rothewell stürzte den Rest des Brandys in einem Schluck hinunter. »Ihr seid der reinste Schwarzmaler aus der Hölle«, knurrte er. »Das Leben ist voller Risiken, Kemble. Und sterben müssen wir alle.«
»Aber einige früher als andere«, entgegnete Kemble. »Ihr fleht ja geradezu darum.«
»Was habt Ihr da gesagt?«
Kemble stellte die Ledermappe auf den Boden und fuhr herum. »Ich habe gesagt, Mylord, dass Ihr Eure Attraktivität verliert. Ihr seht aus wie der wandelnde Tod. Mal ehrlich, habt Ihr Euch in letzter Zeit im Spiegel angesehen? Euer Gesicht besitzt keine Farbe mehr, Eure Augen sind blutunterlaufen, und die Falten in Eurem Gesicht sehen aus, als hätte ein betrunkener Steinmetz sie mit Hammer und Meißel hineingehauen.«
»Falten?« Unbewusst strich Rothewell über seine Bartstoppeln. »Meine Gesichtsfarbe?«
Kemble beugte sich über den Tisch, kniff mit Daumen und Zeigefinger in Rothewells Wange und ließ sie dann wieder los. »Seht Ihr das? Das da?«
»Nein. Das ist meine Haut.«
»Ja, und sie hat keine Spannkraft mehr«, sagte Kemble. »Keine Elastizität! Und diese Blässe! Würdet Ihr nicht noch ein wenig von Eurer Inselbräune zehren, so würde ich meinen, Ihr hättet überhaupt keine Farbe mehr. Aber was, bitte, werdet Ihr in sechs Monaten tun?«
»Mich aufhängen?«, schlug Rothewell vor. »Ich meine, wenn einem Mann erst einmal das gute Aussehen abhandengekommen ist, welchen Grund hat er dann noch, um zu leben? Maßanzüge und ein enges Korsett sind schließlich nicht alles.«
»Ganz genau!«, stimmte Kemble zu, der den Sarkasmus bewusst überhörte.
Eine Bewegung an der Tür erregte Rothewells Aufmerksamkeit. Als er sich umwandte, hatte Xanthia das Zimmer betreten. »Du lieber Himmel, Mr. Kemble, Ihr seid noch da?«
Kemble verbeugte sich steif. »Wenn Ihr heute Abend im Hause bleibt, Miss Neville, werde ich mich jetzt verabschieden.«
»Ich werde nicht mehr ausgehen«, versicherte sie ihm. »Aber möchtet Ihr nicht noch das Abendessen mit uns einnehmen?«
»Danke, nein«, lehnte er ab. »Einen guten Abend Euch. Ich finde selbst hinaus.«
»Den wären wir los«, brummte Rothewell und füllte sein Glas nach.
Xanthia berührte ihn leicht am Arm. »Muss das sein, Kieran?« Ihr Blick richtete sich auf die Brandyflasche.
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