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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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sich unsere Blicke nicht noch einmal trafen. Als ich dann aber aufschaute, um etwas Brot zu nehmen, bemerkte ich interessanterweise, dass Nells Augen auf mich gerichtet waren wie zwei blaue Laserstrahlen. Ich ignorierte sie. Reyn hatte sich einen Platz gesucht, wo ich ihn nicht gut sehen konnte, und es kam während des ganzen Essens kein Wort von ihm.
    Nach dem Essen stand Anne auf und sagte: »Ich würde gern mit einigen von euch arbeiten und eure Kenntnisse über Edelsteine und Kristalle vertiefen. Rachel?«
    »Oh, ja, gern«, sagte Rachel freudig.
    »Charles?«, fragte Anne.
    »Hervorragend, vielen Dank«, antwortete Charles und  räumte seinen Teller ab.
    »Reyn?«, sagte Anne.
    Schweigen.
    »Und Nastasja «, ergänzte Anne.
    Wir warteten beide darauf, dass der andere einen Rückzieher machte. Und warteten. Und warteten ...
    »Gut«, sagte Anne. »Ich sehe euch dann in zehn Minuten im grünen Raum.«
    »Darf ich mich anschließen?« Nell klang ein bisschen zu eifrig. »Ich brenne schon lange darauf, mehr über Edelsteine zu lernen.«
    Anne zögerte einen Moment, doch dann nickte sie. »Ja, ist gut.«
    Nell strahlte.
    Niedergeschlagen sah ich River an. Sie machte ein mitfühlendes Gesicht, warnte mich zugleich aber auch davor, mich zu drücken. Seufzend stand ich auf und brachte meinen Teller in die Küche.
    ***
    »Du konzentrierst dich nicht.« Annes Stimme war geduldig. Zu geduldig.
    Ich öffnete die Augen. Ich war im selben Klassenraum wie jemand, dessen Familie meine Familie getötet hatte. Jemand,dessen Familie von meiner Familie getötet worden war. Wir waren im selben Klassenraum und versuchten, uns mit Steinenzu verbinden. Ich saß so weit weg von Reyn wie möglich, während Nell mal wieder wie Kaugummi an ihm klebte. Es war immer noch total surreal für mich, wer er war und was er in meinem Leben angerichtet hatte. Sämtliche Erinnerungen und Erfahrungen, die ich die letzten vierhundert Jahre verdrängt hatte, saßen plötzlich nur knapp zwei Meter von mir entfernt, lebendig und in Farbe. Es war, als begegnete man dem Monster unter seinem Bett, nur tausendmal schlimmer. Da war es, das Monster. Mein schlimmster Albtraum trug ein dunkelgrün kariertes Flanellhemd und Jeans und duftete nach Waschmittel und frischer Herbstluft.
    Wir saßen in einer Reihe an einem langen Tisch. Anne hatte einen schwarzen Samtbeutel mit verschiedenen Steinen undKristallen und wir sollten alle die Augen schließen, in den Beutel greifen und den Stein herausholen, von dem wir glaubten, dass er bei uns sein wollte. Ja, genau. So lautete die Anweisung. Das war noch persönlicher als die bisherige Arbeit mit Metall, und welchen Stein wir wählten, würde die Art unserer Magie beeinflussen.
    Charles war der Erste und hatte Tigerauge ausgesucht. (Oder war von ihm ausgewählt worden.) »Ah, ja«, sagte er.»Tigerauge ist diese Saison total angesagt.« Das schnell schwächer werdende Nachmittagslicht schien auf seine rotenHaare und seine grünen Augen funkelten humorvoll. Er schrieb etwas in sein ledergebundenes Tagebuch und seine Schrift neigte sich wie gewohnt ein wenig nach rechts. Rachel hatte einen Amethyst gewählt, dessen tiefes Violett einen hübschen Kontrast zu ihrer dunklen Haut und den schwarzen Haaren bildete. Wie üblich lächelte sie nicht - das tat sie nur selten -, sondern betrachtete ernst ihren Stein. »Reyn? Jetzt du. Befreie dein Bewusstsein und konzentriere dich ganz auf die Steine.« Anne hielt ihm den Beutel hin. Reyns kräftige Hand war fast zu groß für die kleine Öffnung.Dieselben langen Finger waren letzte Nacht unter meinen Pullover geglitten. Und sie hatten dabei geholten, meines Vaters Tore aufzubrechen, sodass sie alle in unserem Haus töten konnten. Meine Welten, meine Vergangenheit und Gegenwart, prallten mit ungeheurer Wucht aufeinander und ich musste hier sitzen und durfte keine Miene verziehen. Die Minuten vergingen. Wir alle warteten. Reyn schloss die Augen und ich konnte ihn ansehen, ohne dass er es merkte. Ich versuchte, Blutrünstigkeit oder Verlangen in seinem Gesicht zu finden. Langsam zog er die Hand heraus und öffnete sie. Auf seiner Handfläche lag ein dunkelgrauer Stein mit roten Flecken.
    »Ein Blutstein«, erklärte Anne. Wie passend, dachte ich. »Und was symbolisiert er? Weiß es jemand?«
    »Er steht für ... Ehrlichkeit«, sagte Reyn und mir fiel wieder ein, dass Nell glaubte, er wäre zweihundertsiebenundsechzig. Sie kannte die

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