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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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meines Aussehens jünger geschätzt hatte, sondern wegen meines Benehmens.

    »Also gut, vierhundertneunundfünzig. Aber wenn du immer noch kein großes Mädchen sein willst, haben wir nicht die Absicht, dich umzuerziehen. Wir werden dir aber auf jede erdenkliche Weise helfen, so gut wir können, solange du deinen Teil dazu beiträgst. Wenn du dich aber nur durchmogeln willst, bist du hier fehl am Platz.«
    »A-ha«, machte ich wieder.
    River lachte und dann kam sie auf mich zu, beugte sich zu mir herunter - ich saß immer noch auf dem Bett - und nahm mich in die Arme. Sie fühlte sich warm, stark und tröstlich an. Ich konnte mich nicht erinnern, wann sich eine Umarmung das letzte Mal so gut angefühlt hatte. Verlegen er-widerte ich die Umarmung und klopfte ihr leicht mit einer Hand auf den Rücken.
    »Ich will dich nicht vertreiben«, sagte sie. »Ich möchte, dass du bleibst. Aber ich will nicht, dass du hier den zickigen Teenager raushängen lässt, wenn du verstehst, was ich meine?«
    Ich nickte. »A-ha.« Mir fiel kein lockerer Spruch ein. Gerade jetzt fragte ich mich mehr denn je, was ich hier eigentlich tat. Vielleicht hatte ich mit meiner Flucht einfach überreagiert. Es war alles ein lustiger Irrtum. Zumindest würde es irgendwann lustig sein. In ein paar Jahrzehnten würde ich vermutlich darüber lachen, über meinen Versuch, allem zu entfliehen, ha ha ha. Schließlich war ich doch gar nicht so kaputt, oder? Aber dann musste ich wieder an den Taxifahrer denken, sein Gesicht im Schein der Straßenbeleuchtungund wie ich einfach weggegangen war und wie da bei etwas in mir zerbrochen war.
    »Wie alt bist du?«, fragte ich, obwohl ich es eigentlich gar nicht vorgehabt hatte.
    Sie blieb an der Tür stehen. »Älter als du«, sagte sie beinahe verlegen und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
    »Und wie alt?« Keine Ahnung, wieso ich das wissen wollte - vielleicht wollte ich mir keine Vorträge von jemandem anhören, der jünger war als ich?
    Ihr Blick traf meinen. »Ich wurde 718 in Genua im Königreich Italien geboren.« Sie lächelte. »Seitdem hat sich viel verändert. «
    »Oh.« Ich nickte. Sie lächelte mir ein letztes Mal zu, dann ging sie und schloss die Tür hinter sich. Ich war nur froh, nicht mit dem herausgeplatzt zu sein, was mir als Erstes in den Kopf gekommen war: »Mein Gott, bist du alt!«
    Todmüde ließ ich mich aufs Bett fallen. Ich gehörte nicht hierher. Dieser Ort strahlte Ruhe, Frieden, ein geregeltes Leben, Veränderung und zugleich Beständigkeit aus. Und ich war einer von diesen japanischen Wurfsternen, die durch die Welt wirbeln. Ich brachte nur Ärger. Eisige Verzweiflung umklammerte meine Brust. Dieser ganze Plan war so lächerlich - aber leider der einzige, 'der mir eingefallen war. Gott, war ich bekloppt.
    Zumindest war das Zimmer warm. Unter dem Fenster war ein kleiner Heizkörper und er funktionierte. Seufzend zog ich meine abgewetzte Lederjacke und die schweren Motorradstiefel aus und fühlte mich sofort befreit, schwerelos und echt behaglich. Ich trug einen Männerpulli aus Fleece und schlug den Kragen hoch - ein Reflex, der dafür sorgte, dass mein Nacken bedeckt war. Und kuschelig war es außerdem. Mir fielen schon die Augen zu, als es an der Tür klopfte. »Es ist offen«, sagte ich und dachte sehnsüchtig an den Zimmerservice. Mir war schon aufgefallen, dass die Türen alle keine Schlösser hatten. Wie altmodisch.
    Die Tür ging auf und der Wikingergott stand vor mir. Mit gesenkten Lidern spähte ich ihm unauffällig ins Gesicht und hatte schon wieder das Gefühl, ihn von irgendwoher zu kennen, aber ich kam einfach nicht darauf, wo wir uns begegnet waren. Er trug meinen Koffer locker mit einer Hand, obwohl das Ding vermutlich mehr wog als ich, und stellte ihn in meinem Zimmer ab. »Hier.«
    »Ich wollte ihn gleich holen.« Ich setzte mich auf und war ganz verlegen, weil ich genau wusste, wie ich aussah. Es hat Zeiten in meinem Leben gegeben, in denen ich richtig hübsch war. Ich habe ebenmäßige Züge, schöne Augen, einen vollen Mund, hohe Wangenknochen und so weiter. Wenn ich michzusammenreiße, kann ich echt gut aussehen. Aber ich muss gestehen, dass ich mich die letzten vierzig Jahre nicht mehr zusammengerissen habe. Oder sogar länger noch. Und jetzt war mir schmerzhaft bewusst, dass ich so dünn war wie eine Drogensüchtige und dass meine schlecht gefärbten schwarzen Haare an ein

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