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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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war ich ziemlich sicher, ihm noch nie begegnet zu sein. Vielleicht erinnerte er mich an jemanden, den ich mal flüchtig gesehen hatte oder so.
    »Ich bin Holländer«, sagte er gereizt. »Ursprünglich.«
    »Ahmmm«, machte ich, weil ich gerade versuchte, die Bohnen-Getreide-Mischung zu kauen. Ich nahm ein paar große Schlucke Wasser. Klares Wasser. Cola wäre mir lieber gewesen.
    »Ich bin Nell«, sagte das britische Mädel neben mir. »Willkommen, Nastasja. Ich hoffe, dass du hier glücklich wirst.
    Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst, dich hier einzuleben.« »Okay«, sagte ich. »Und danke.« Ich fühlte mich unsauber, ungehobelt, unkultiviert und noch ein paar andere uns.
    Sobald es hell wurde, würde ich mich vom Acker machen. Ich werde auch allein mit meinen Problemen fertig, dachte ich, obwohl mir mein Gehirn zuwisperte: Wirst du nicht. Aber was wusste mein Hirn schon?
    Immer noch prasselten Namen auf mich ein, aber die Gesichter, weibliche und männliche, weiße, asiatische, schwarze und hispanische, verschwammen irgendwie. Ich versuchte gar nicht erst, sie mir zu merken; ich würde ohnehin nicht so lange bleiben, dass es eine Rolle spielte. Ich fragte mich kurz, was sie hergeführt hatte - war ihr Leben genauso mies gewesen? Oder waren sie nur gekommen, um zu lernen, was immer River unterrichtete? Was war das überhaupt? Magie? Wie man unsterblich sein konnte, ohne darüber den Verstand zu verlieren? Oder einfach nur ... biologischen Landbau? River hatte das hier als Heim für gestrandete Unsterbliche bezeichnet. Gestrandet waren Leute, in deren Leben
    etwas schrecklich schiefgegangen war. Aber wenn ich mich umsah, wirkte nur Jess, als wäre sein Leben jetzt oder früher aus dem Ruder gelaufen. Alle anderen sahen echt gesund und glücklich aus und kein bisschen gequält. Wie ich wohl in ihren Augen aussah?
    Fassen wir mal zusammen: Hier saß ich mit einem Haufen Unsterblicher, die den guten Menschen raushängen ließen, in einem kalten, sparsam eingerichteten Esszimmer und aß geschmacklosesGrünfutter. Ich gehörte definitiv nicht hierher.
    Aber ich gehörte auch nicht mehr nach London zu Boz und Incy und den anderen - schon der Gedanke machte mich krank und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Wenn überhaupt gehörte ich in die wunderbaren, farbenfrohen Sechzigerjahre, als alle mich geliebt hatten und ich fantastisch aussah.
    Deprimiert starrte ich auf meinen Teller, die Hoffnung auf ein Dessert längst begraben; ganz zu schweigen von der Hoffnung, dass dieses Essen vielleicht irgendeine Spaßdroge enthielt - die Wahrscheinlichkeit war gleich null.
    Warum tat ich mir das an? Eine gute Frage. Eine Frage, die ich mir im Laufe der Jahre in verschiedenen Situationen bestimmt schon tausend Mal gestellt hatte. Sie schien mein Lebensmotto zu sein.

5
    Schließlich war das Abendessen vorbei. Ich wollte schon in »mein« Zimmer zurücksprinten, mich auf dem Bett zusammenrollen und selbst bemitleiden, als mich eine der Frauen fragte, ob ich am Abendspaziergang teilnehmen würde.
    Offenbar war mir der Mangel an Begeisterung anzusehen, denn sie lachte, als sie sich eine Daunenweste anzog und einen Fleeceschal um den Hals schlang.
    »Wir machen fast jeden Abend nach dem Essen einen Spaziergang«, erklärte River mit ihrer wundervoll wohlklingenden Stimme. Sie streifte sich ein rotes Käppi über das silberne Haar und lächelte mich an. »Das ist ein Teil der Aufmerksamkeit, die wir der Welt schenken - wir sehen uns die Sterne an, den Mond, die Schatten der Bäume.«
    »Nachts sind andere Vögel unterwegs«, verkündete einer der Männer, der gut aussehende italienische Typ - Lorenz? »Wir lernen ihre Rufe und die Lebensgewohnheiten kennen.« Ich nickte ernst und fragte mich, ob das ein Witz sein sollte.
    »Zu dieser Jahreszeit haben fast alle Bäume ihre Blätter abgeworfen«, sagte Nell, die in ihrem Burberry-Trenchcoat richtig schick und outdoormäßig aussah. »Man lernt, welche zuerst ihr Laub verlieren und ob es schnell oder langsam geht.«
    Nur über meine Leiche, dachte ich. Ja, auch Unsterbliche benutzen diesen Spruch.
    »Bei Vollmond ist es draußen fast so hell wie am Tag«, sagte Solis. Seine haselnuss braunen Augen musterten mich, als versuchte er herauszufinden, wieso ich wirklich hier war. »Heute Nacht ist Neumond, das ist auch wunderschön.«
    Er musste es ja wissen.
    »Willst du dir eine Jacke holen und mitkommen?«, fragte  River. Ihre Augen funkelten belustigt.

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