Entflammt
zu übernehmen. Wir sind total menschlich, nur dass wir nicht so viel sterben wie andere Leute. Als ich klein war, hat mein Vater uns Märchen von einer Prinzessin erzählt, die so gut war, dass ihr das Geschenk der Unsterblichkeit gewährt wurde. Ich hatte mich damals gefragt, ob er wirklich daran glaubte. Es gibt diverse Mythen und Theorien in den verschiedenen Kulturen Unsterblicher, aber wenn man sie genauer ansieht, läuft es immer auf Bumm! Es ist einfach passiert! hinaus. Es war stets eine Gabe oder ein Fluch oder es lag an magischem Wasser oder einer magischen Pflanze. Ich persönlich glaube, dass es einfach eine spontane GenMutation ist. Wie Krebs oder Farbenblindheit.
Was total witzig ist: Ich erfuhr erst mit Anfang zwanzig, dass ich unsterblich bin. Natürlich war mir klar, dass ich noch sehr jung aussah, aber ich erinnere mich, dass das auch auf meine Mutter zutraf. Nun, ich war damals Dienstbotin in einem Haus in Reykjavik. Die Hausherrin Helgar erkannte, dass ich unsterblich bin, und musste mich mühsam davon überzeugen.
Helgar wurde meine beste Freundin und ich lernte von ihr mehr als in den ersten zwanzig Jahren meines Lebens.
Eines Tages saßen wir im Vorderzimmer, mit Blick auf die kopfsteingepflasterte Straße. Es war Winter, schneite aber nicht, und das Feuer in dem großen, mit Schnitzereien geschmückten Kamin knisterte. Helgar saß im Sessel und arbeitete an einer Stickerei, wie es sich für eine kultivierte Dame gehörte. Ihre Blumen-und Häschen-Stickerei war als Überzug für die Kniebank in der Kirche der Familie gedacht. Ich hatte das als Kind im Hrókur meiner Familie auch gelernt. Das war eine Burg, aber mittelalterlich und kein bisschen wie ein Schloss, nicht so schick wie Versailles oder so, Doch jetzt war ich eine Dienstbotin und saß auf einem hölzernen Hocker und entfilzte Wolle.
»Ich weiß nicht, wann es mit uns anfing«, sagte Helgar. Sie hatte eine kräftige tiefe Stimme und ich hörte ihr gern zu. »Meine Mutter wurde 1380 in England geboren. Sie nennt es noch heute Aengland. Sie sagt, dass es in ihrem Dorf Leute gegeben hat, die im Jahr des Herrn geboren wurden, eintausend.« Meine Augen wurden ganz groß.
»Auf jeden Fall, Sunna, macht es Sinn, dass es schon immer Unsterbliche gegeben haben muss«, fuhr Helgar fort. Sie kam ans Ende ihres Fadens, biss ihn ab und knotete einen neuen ein. »Schließlich gibt es das Böse auch schon immer.« Sie hörte sich selbstgefällig an. »Ich nehme an, dass die ers ten Unsterblichen, die Aefrelyffen, gleich nach Adam und Eva aus dem Garten Eden kamen. Erst kam das Licht, dann die Dunkelheit. «
»Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Wieso das Böse?«
»Terävä«, war alles, was Helgar antwortete. »Haben dir das deine Eltern nicht erzählt?«
»Meine Eltern sind gestorben, als ich noch klein war,« Ich ließ den Kopf hängen und fühlte den vertrauten Schmerz. Helgar sah geschockt aus und vergaß für einen Moment die Stickerei auf ihrem Schoß. »Gestorben! Gestorben? Alle beide?«
Ich biss mir auf die Lippe, plötzlich ganz verlegen wegen meiner unsterblichen Eltern, die es fertiggebracht hatten, zu sterben.
Helgar war verblüfft und ging zweifellos im Kopf durch, woran die beiden wohl gestorben sein konnten. Zumal sie unsterblich gewesen sein mussten, weil ich es war. Aber ja, sie waren tot. Da war ich ziemlich sicher. Sehr sicher sogar. »Und was ist mit - Teräva?«, fragte ich.
Erst mehrere Augenblicke später blinzelte Helgar. »Terava. Die Dunkelheit. Unsterbliche werden in die Dunkelheit geboren und leben in ihr. Wir können nichts dagegen tun. Das Böse ist in uns.« Offensichtlich erschüttert nahm sie ihre Stickerei wieder zur Hand und sah mich nicht an. Dass sie das mit meinen Eltern wusste, hatte mich in ihren Augen verändert, mich zu etwas Besonderem gemacht. Ich tat so, als merkte ich es nicht.
»Was heißt böse?«, bohrte ich nach.
»Unsere Magie«, antwortete Helgar, aber sie war eindeutig nicht bereit, mehr zu dem Thema zu sagen.
***
»Nastasja!«
Ich schluckte, blinzelte ein paarmal und stellte fest, dass ich immer noch im Clancy's war.
Eine Frau beugte sich zu mir herunter und küsste meine Wangen, links, dann rechts und noch mal links. Dann zog sie sich zurück und ich sah glatte braune Haare, braune Augen und ein breites Lächeln.
»Alanna«, sagte ich und versuchte, Begeisterung zu heucheln. Ich warf die Enden des Halstuchs
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