Entflammt
startete den Motor. Das Mädchen sah mich überrascht an, schüttelte gereizt den Kopf und zuckte mit den Schultern.
Mir wurde klar, dass ich vielleicht meinen eigenen Rat befolgen sollte. Aber das tat ich ja nie.
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In jeder Großstadt gibt es Orte, an denen Unsterbliche abhängen. Das scheint eine Modesache zu sein - jahrzehntelang bevorzugen viele von uns Mailand und es ist voller Clubs und Unsterblicher, die dort Wohnungen oder Häuser haben. Da gibt es immer viel zu tun und massenweise Leute, mit denen man etwas unternehmen kann. Und dann wird Mailand allmählich unmodern, vielleicht ändert sich das politische Klima oder die Wirtschaft oder es bricht ein Krieg aus und plötzlich ist eine andere Stadt angesagt, wie etwa San Francisco. Aber trotzdem gibt es in jeder großen Stadt und natürlich auch in kleineren Orten eine ziemlich konstante, wenn auch kleine Population von Unsterblichen.
Manche von ihnen verlieben sich in eine Stadt und bleiben jahrzehntelang. Meistens hassen sie die unvermeidliche Modernisierung und schwärmen von der guten alten Zeit, in der es noch keine Straßenbeleuchtung und so etwas gab. Allerdings vergessen sie dabei auch gern, dass die Straßen vor der Erfindung der Laternen grauenvoll waren, dass die Leute ständig ausgeraubt wurden und dass es eine Ewigkeit dauerte, von einem Ort zum anderen zu kommen. Ich meine, hallo? Ein Klo mit Wasserspülung? Definitiv eine Errungenschaft. Die meisten von uns haben Lieblingsorte oder Lieblingszeitabschnitte. Ich habe keinen Lieblingsort. Zurzeit war London angesagt. Aber ich wusste, dass ich auch in Boston alte Freunde finden würde, wusste, wo ich nach ihnen suchen musste. Es war verrückt, dass ich dieses Gefühl der Bedrohung und den damit verbundenen Drang, irgendwo in Deckung zu gehen, nicht los wurde. Es war verrückt und irrational und ich würde das Gefühl von nun an ignorieren. InBoston würde ich mit Leuten abhängen, die ich kannte, und mir dann überlegen, wohin ich als Nächstes wollte. Ich drehte das Radio des Mietwagens voll auf und raste den Highway 9 hinunter, bis er auf die Interstate 90 traf.
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Es kam mir vor, als wäre es zwanzig Jahre her, seit ich im Dungeon den letzten Gin in mich hineingeschüttet hatte. Wie hatte ich so - ahnungslos sein können? Vor vier Tagen noch hatte ich ein anderes Leben geführt. Ich war eine andere Nastasja gewesen. Vielleicht war es an der Zeit, mal wieder meinen Namen zu ändern, mich neu zu erfinden und in eine neue Stadt zu ziehen. Ich hieß jetzt seit ungefähr dreißig Jahren Nastasja. So gesehen war es längst überfällig, jemand anders zu sein. Jemand, der nicht mit Incy und Boz abhing.
Das war es, was du in Riuer's Edge versucht hast.
Ich habe viel Übung darin, die Stimme in meinem Kopf zu ignorieren, und so rutschte ich einfach auf meinem Barhocker nach hinten und bedeutete der Barfrau, mir noch einen Drink zu bringen. Sie hatte natürlich nach meinem Ausweis gefragt - das taten sie fast immer. Ich hatte absichtlich nicht zu sehr übertrieben; auf meinem amerikanischen Führerschein war ich seit ein paar Monaten einundzwanzig. Es war einfacher gewesen, als achtzehn noch die magische Grenze war - denn ich sah keinen Tag älter aus.
Ich war am späten Vormittag in Boston angekommen, hatte mir ein Hotel gesucht und bis abends um zehn geschlafen - die perfekte Zeit, um auf die Piste zu gehen. Nach einigem Überlegen hatte ich mich für das Clancy's entschieden und es war noch genau da, wo es schon vor zehn Jahren gewesen war. Allerdings hatten sie den Laden modernisiert, was ich scheußlich fand. Ich hatte ihn als düster und schmuddelig in Erinnerung, mit einem widerwärtig olivgrünen Teppich rund um die Tanzfläche. In einem winzigen Kabuff hatte ein schleimiger DJ gehockt, der Wunschlieder spielte, wenn man sich auf seinen Schoß setzte. Es war gemütlich und heimelig gewesen und der Laden voll von Unsterblichen. Jetzt war die Beleuchtung besser, der Holzboden nachgemacht und der DJ hatte ein richtiges Pult oberhalb der Tanzfläche, wo ein Typ mit einem rosa Pferdeschwanz auf Vinyl-Schallplatten herumschrubbte. Die Gäste schienen halb Menschen, halb Unsterbliche zu sein. Ich erkannte zwar ein paar Gesichter, aber niemand kam auf mich zugestürzt, um mir Küsschen auf die Wangen zu hauchen.
Natürlich sind auch wir Menschen, das muss ich mal erwähnen. Wir sind keine Aliens, die gekommen sind, um die Erde
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