Entflammt
zu gehen. Reyn hatte bisher natürlich nur in meiner Vorstellung gelächelt und ich würde ganz sicher nicht darauf warten, dass er es auch im echten Leben tat.
»Wie meinst du das?«, fragte ich. »Bedeutet das, dass es mir nie ... besser gehen wird?«
»Nein, nein, du hast mich missverstanden«, sagte Asher. Er packte eine Ladung sauberen Kohl auf die Arbeitsplatte und tauchte die nächste ins Spülbecken. »Es ist nicht so, als würdest du einen Berg besteigen, und wenn du den Gipfel erreicht hast, bist du für immer oben angekommen.« Shit. »Ich muss den Berg noch mal besteigen?«
»Nein.« Er stellte das Wasser ab, trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und sah mich an. »Es ist nur so, sobald du auf dem Berg bist, stellst du fest, dass die Aussicht so grandios ist, dass du immer weiter darauf zugehen willst.« Ich schüttelte den Kopf. »Das kapiere ich nicht. Lassen wir das mit der Kletterei. Bitte noch mal im Klartext.« »Keiner von uns hat eines Tages entschieden, sich dem Guten, dem Licht zuzuwenden und die Dunkelheit für immer hinter sich zu lassen«, erklärte Asher geduldig. »Das ist keine Entscheidung, die man einmal trifft. Als Terävä werden wir geboren, aber wir müssen es nicht bleiben. Tähti zu sein, ist etwas, das erworben, aber auch leicht wieder verloren gehen kann.«
Ich war immer noch schockiert darüber, wie beiläufig die Leute hier darüber sprachen.
»Gut zu sein - und damit meine ich nicht dunkel, nicht böse - hat nichts mit äußerlichem Gut-Sein zu tun, verstehst du?«
Ich nickte.
»Gut zu sein ist etwas, für das man sich immer wieder neu entscheiden muss, jeden Tag, den ganzen Tag, für den Rest des Lebens«, sagte Asher. »Ein Tag besteht aus tausend Entscheidungen, vielen kleinen, aber auch einigen sehr großen. Und mit jeder Entscheidung hast du die Chance, dich auf das Licht zuzubewegen oder in der Dunkelheit zu versinken.« »Oh, Gott«, stöhnte ich. »So gut wollte ich nie sein!« Ein Lächeln erhellte sein Gesicht. »Ich verrate dir ein Geheimnis: Keiner von uns kann immer nur gut oder böse sein. Nicht einmal River, und sie ist der offenherzigste Mensch, den ich jemals getroffen habe.«
»Und wieso versucht man es dann, wenn man eh nicht gewinnen kann?«
»Du gewinnst auf andere Weise«, sagte Asher. »Du erringst lauter kleine Siege. Der Sinn dieses Lebens ist nicht, dauerhaft gut zu sein. Es geht darum, so gut zu sein, wie du kannst. Niemand ist perfekt. Niemand macht immer alles richtig. Sofunktioniert das Leben nicht.«
Die Küchentür ging auf und mehrere Leute kamen herein: Lorenz, Nell, Anne und ... der Wikingergott. Ich sah Reyn natürlich jeden Tag und hatte nach unserer Hunde-Waschaktion noch mehrmals das Pech gehabt, mit ihm zusammen oder in seiner Nähe arbeiten zu müssen. Er sagte nur etwas, wenn man ihn direkt ansprach, lächelte nie und lachte schon gar nicht - kurz gesagt, er war ein stures, abweisendes Ekel. Er kam mir immer noch eigenartig vertraut vor, ohne dass ich eine Idee hatte, woher ich ihn kennen könnte. Je genauer ich ihn mir ansah, desto nervtötender fand ich ihn sogar - und es war echt Ironie des Schicksals, dass meine Psyche beschlossen hatte, ihn anziehender zu finden als jeden anderen Menschen, den ich je getroffen hatte. Meine Gefühle überraschten mich selbst, zumal Reyn nicht das geringste Interesse signalisierte. Doch ich fühlte mich zu ihm hingezogen, als würden wir einander kennen, als hätten wir eine gemeinsame Vergangenheit.
Eine fiebrige Minute lang fragte ich mich sogar, ob wir in einem anderen Leben zusammengehört hatten, aber der Gedanke, mehr als ein unsterbliches Leben zu haben, machte keinen Sinn.
Und ich konnte ihn nicht einmal ausstehen - er hatte nicht das Geringste an sich, das ich bewundern konnte, abgesehen von seinem total öden Bestreben, immer gut zu sein. Und das war gleichbedeutend damit, dass er nicht das Geringste an sich hatte, das ich interessant fand. Er war der nervigste, langweiligste und hochnäsigste Ich-bin-besser-als-du-und-ich—werde-mich-nie-ändern-Blödmann, den ich je getroffen hatte. Aber jede Nacht, wenn ich in meinem schmalen harten Bett lag, vermisste ich ihn, als wären wir einst zusammen gewesen. Ich verzehrte mich regelrecht nach ihm, nach seinerBerührung und seinen Küssen. Nichts wünschte ich mir sehnlicher, als dass diese Fassade bröckelte, dass er seineCoolness verlor, dass er in heißen
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