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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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wachte jeden Tag rechtzeitig auf, um zu sehen, wie das erste Morgenlicht die Berge rot färbte. Ich machte mein Bett (na, ja, zumindest strich ich die Decke glatt), zog mich an und ging  nach unten. Manchmal stand mein Name auf der Liste fürs Frühstück. Manchmal hatte ich auch andere Aufgaben zu erledigen, wie die Eier aus dem Stall zu holen, die Veranda zu fegen oder den Tisch zu decken.
    Vormittags arbeitete ich meistens mit einem der Lehrer oder einem der fortgeschritteneren Schüler: Daisuke, Charles oder Rachel. Manchmal stellten sie mir Fragen, die ich zu beantworten versuchte; manchmal redeten sie nur über ganz normales Zeug und ich erkannte erst später, dass ich gerade die wichtige Lektion Nummer 47 über das Leben oder so etwas gelernt hatte.
    Ich kannte jetzt alle, ihre Namen, woher sie kamen, wo ihre Zimmer waren, wie lange sie schon hier lebten. Jess wartatsächlich erst hundertdreiundsiebzig. Aber er war noch verkorkster als ich und sein derzeitiger Aufenthalt war bereits der fünfte Versuch. Ich hatte noch nie erlebt, dass jemand so Junges so alt aussah - graue Haare, Falten im Gesicht, die Nase von geplatzten Äderchen durchzogen. Als er das letzte Mal draußen war, hatte er sich betrunken und einen Radfahrer angefahren. Der hatte zwar überlebt, aber Jess sagte, dass die Schuld mit ungefähr tausend Kilo auf seinen Schultern lastete. Er hatte in seinem Leben einiges aufzuarbeiten. Genau wie ich.
    Rachel war meistens ziemlich ernst, konnte aber auch urkomisch sein. Ihre Erzählungen, was sie in den Zwanzigerjahrengetrieben hatte, brachten uns alle zum Lachen.
    Anne, die andere Lehrerin neben River, Solis und Asher, war fröhlich, lächelte viel und hatte es immer eilig. Und sie liebte es, jeden am Arm zu berühren oder jemandem die Hand auf die Schulter zu legen oder River über den Rücken zu streichen. Ich war mittlerweile so weit, dass ich nicht mehr jedes Mal zurückzuckte. Sie war dreihundertvier und schrieb ihr jugendliches Äußeres ihrer gesunden Lebensweise zu, was die anderen Lehrer zum Prusten brachte.
    Ja, das war schon ein lustiger Haufen.
    Lorenzund Charles waren beide nett und auch ganz interessant. Ich hatte jedoch nicht viel Energie darauf verwendet, sie näher kennenzulernen, weil ich vermutlich ohnehin nicht lange bleiben würde, aber die beiden nervten mich kein bisschen. Lorenz war tatsächlich Italiener mit einer umwerfenden Kombination aus schwarzen Haaren und blauen Augen und einem tollen Römerprofil wie auf einem antiken Mosaik. Er war ziemlich laut und machte aus seinen Gefühlen keinen Hehl. Charles stammte ursprünglich aus Irland und hatte immer noch einen leichten Akzent wie die meisten von uns, aber er hatte die letzten zweihundert Jahre in Südamerika gelebt. Er war schwul, hatte knallrote Haare, grüne Augen und Sommersprossen. Ich weiß nicht wie - aber er schaffte es immer, wie aus dem Ei gepellt auszusehen, ob er nun Unkraut rupfte oder Kühe molk.
    Brynne sah, wie gesagt, aus wie ein Model - groß, schlank und mit einem wundervoll ebenmäßigen Gesicht. Wie Lorenz warsie unglaublich lebendig, eine echte Treibhauspflanze. Außerdem wirkte sie unerschütterlich - als die Fritteuse in Flammen stand, erstickte sie das Feuer einfach mit Salz, ohne die Geschichte, die sie gerade erzählte, auch nur für einen Moment zu unterbrechen. Reyn war eben Reyn. Nell riss sich immer noch ein Bein aus, um freundlich und hilfsbereit zu erscheinen, aber man brauchte nur eine Minute, um zu erkennen, dass sie im Grunde nur eine Show abzog. Vor allem natürlich für Reyn. Ich hatte längst erkannt, dass Nell ein Wolf im Schafspelz war aber außer mir schien das niemandem aufzufallen. Es schien auch niemand mitzukriegen, wie verrückt sie nach Reyn war. Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich bekam es natürlich mit. Nach außen gab sie sich als das süße kleine Ding; immer lächelnd und hilfsbereit, fleißig und eine eifrige Schülerin, die zu allen nett war.
    Doch unter der Oberfläche brodelte es. Ich sah ihre stille Verzweiflung über Reyn, der sie behandelte wie ein verwöhntesSchoßhündchen. Er glaubte, sie wären nur Freunde, Arbeitskollegen, was bewies, was für ein gefühlloser, dämlicherTrampel er war. Sie wollte mit ihm in den Tähti-Sonnenuntergang reiten und ihn für immer und ewig für sich
    allein haben. Immer wieder hatte ich beobachtet, wie sie etwas so gedreht hatte, dass sie beide

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