Entflammte Nacht
er sich – wenn es so etwas überhaupt gab – in Sicherheit. Die beiden Werwölfe schliefen den ganzen Tag hindurch und weit bis in den frühen Abend hinein.
Schließlich ging Ivy los, um nach dem Hutladen zu sehen, und Tunstell, der zur Theaterprobe musste, hielt es für besser, Lyall aufzuwecken.
»Ich habe noch mehr Fleisch vom Metzger geholt«, erklärte er, als sich der Beta einen Bissen rohes Steak absäbelte und in den Mund steckte.
Professor Lyall kaute gründlich. »Das schmecke ich. Also, was hört man so auf der Straße?«
»Jeder redet davon, ziemlich schlicht und unverblümt. Und ich meine wirklich jeder.«
»Und was genau sagt man?«
»Dass der Wesir tot ist. Sie und der alte Wolf hatten wohl eine ziemlich geschäftige Nacht gestern, nicht wahr, Professor?«
Lyall legte sein Besteck zur Seite und rieb sich die Augen. »Ach, herrjemine, was hat er mir da nur für ein Chaos hinterlassen!«
»Eine von Lord Maccons herausragendsten Charaktereigenschaften, soweit ich mich erinnere – der Hang zum Chaos.«
»Sind die Vampire sehr aufgebracht?«
»Aber Professor, wollen Sie etwa ironisch sein? Wie süß!«
»Beantworten Sie die Frage, Tunstell!«
»Es hat sich noch keiner von ihnen blicken lassen. Ebenso wenig wie ihre Drohnen. Doch den Gerüchten zufolge ist die Situation alles andere als ideal, Sir. Ganz und gar nicht ideal.«
Professor Lyall dehnte den Nacken nach links und rechts. »Nun, ich nehme an, dass ich mich hier lange genug versteckt habe. Zeit, den Spitzzähnen gegenüberzutreten.«
Tunstell warf sich in eine shakespearehafte Pose. »Spitzzahn oder Wolfszahn, das ist hier die Frage!«
Professor Lyall bedachte ihn mit einem säuerlichen Blick. »So etwas in der Art.«
Der Beta stand auf und streckte sich, dann sah er auf Biffy hinunter. Der Schlaf tat ihm gut. Wenn er auch nicht unbedingt gesünder aussah, so doch zumindest weniger mitgenommen. Sein Haar war vom Schlamm der Themse verklebt und das Gesicht mit Schmutz und Tränenspuren überzogen, doch es strahlte immer noch eine gewisse dandyhafte Vornehmheit aus. Lyall schätzte das an einem Mann. Lord Akeldama hatte die Sache gut gemacht. Das schätzte Lyall ebenfalls.
Ohne weitere Umschweife nahm er den in eine Decke gehüllten Biffy auf die Arme und trug ihn hinaus in die geschäftigen Londoner Straßen.
Floote war immer noch unterwegs, als Alexia die schnaubenden Pferde am Tor des Tempels zum Halten brachte. Madame Lefoux wurde augenblicklich in die Krankenstation gebracht, sodass sich Alexia allein auf den Weg durch das luxuriöse Gebäude machte. Und weil sie nun einmal Alexia war, führte ihr Weg direkt in die ruhige, gesunde Vernunft der Bibliothek. Nur in einer Bibliothek konnte sie nach einem so anstrengenden Tag ihre innere Gelassenheit wiedererlangen. Außerdem war es der einzige Raum, von dem sie noch wusste, wie sie dort hinkam.
In einem verzweifelten Bemühen, mit dem gewalttätigen Angriff, der Entdeckung, dass sich Channing in Italien befand, und ihrer eigenen unerwarteten Zuneigung für das ungeborene Ungemach fertigzuwerden, holte Alexia etwas von Ivys kostbarem Tee hervor. Ihrer Meinung nach gelang es ihr ziemlich einfallsreich, in einer leeren Schnupftabaksdose aus Metall über dem Kaminfeuer Wasser aufzusetzen. Sie musste auf Milch verzichten, doch das war unter den gegebenen Umständen nur ein geringer Preis. Sie hatte keine Ahnung, ob der Präzeptor bereits zurückgekehrt war oder ob er überhaupt noch lebte, denn wie gewöhnlich redete niemand mit ihr. Und da sie im Augenblick nichts anderes zu tun hatte, setzte sich Alexia in die Bibliothek und schlürfte ihren Tee.
Es war dumm von ihr, nicht zu bemerken, dass die alles durchdringende Stille nicht die des Gebets, sondern die drohenden Unheils war. Die erste Warnung kam in Gestalt eines quirligen, vierbeinigen Staubwedels, der in die Bibliothek gestürmt kam und die ruhige Stille mit einem Anfall wilden Gekläffs zerstörte.
»Poche? Was machst du denn hier, du abscheuliches Geschöpf?« Alexia fummelte an ihrer Schnupftabaksdose voll Tee herum.
Offensichtlich lag Poches gegenwärtiges und einziges Interesse in einen bösartigen Angriff auf Alexias Stuhlbein, in das er seine winzigen Zähnchen schlug und leidenschaftlich darauf herumkaute.
Alexia dachte kurz darüber nach, ob sie ihm einen Tritt verpassen oder ihn einfach vollständig ignorieren sollte.
»Guten Abend, weibliches Exemplar!«
»Aber Herr deutsches Exemplar, was für eine
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