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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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bin es, Aïcha. Zusammen mit Bintou. Tut mir leid, dass es so spät geworden ist.«
    »Kein Problem.«
    »Wir haben eine technische Frage.«
    »Eine technische Frage?«
    »Haben Sie Skype installiert?«
    »Skype? Was ist das?«
    »Eine Software, mit der man weltweit kostenlos von Computer zu Computer telefonieren kann.«
    »Nein, habe ich leider nicht. Warum?«
    »Weil Rébecca einverstanden wäre, morgen um diese Uhrzeit mit Ihnen über Skype zu telefonieren. Wir müssten allerdings dabei sein.«
    »Verstehe. Aber bis morgen habe ich die Software doch bestimmt installiert. Sie müssten dann allerdings um spätestens halb drei hier bei mir sein, denn das sollten wir besser nicht auf dem Revier erledigen. Was anderes: Sagen Sie, haben Sie Laura jemals von Unrat sprechen hören? Vom Unrat der Welt? Sagt Ihnen der Ausdruck etwas?«
    »Warten Sie, ich gebe die Frage kurz an Bintou weiter.«
    »…«
    »Nein, wir haben den Ausdruck nie von ihr gehört, allerdings erinnert er uns an das Vokabular der Zeugen Jehovas. Sie sollten vielleicht morgen Rebecca danach fragen. Mit ihr hat Laura am häufigsten über ihr Vorleben gesprochen. Gute Nacht, Lieutenant.«
    »Gute Nacht, Aïcha. Übrigens – wenn Sie mich schon nachts um drei anrufen, können Sie mich auch getrost Rachel nennen.«
    »Okay, Lieutenant – hm – Rachel. Wir werden es versuchen. Ach, noch etwas: Kennen Sie Sam? Den Frisör?«
    »Sams Frisiersalon für Herren? Ja klar. Warum?«
    »Na ja, ich weiß nicht … es wäre vielleicht von Vorteil, sich ein wenig mehr für ihn zu interessieren.«
    »Können Sie vielleicht ein bisschen deutlicher werden?«
    »Im Augenblick lieber nicht. Bis morgen, Rachel. Und nochmals Entschuldigung dafür, dass wir Sie geweckt haben.«
    Rachel hat gerade noch Zeit, »Bis morgen« zu sagen, als das Gespräch auch schon abbricht.
    Sie ist jetzt ohnehin hellwach, also fährt sie den Rechner hoch, öffnet Safari, sucht nach der Homepage von Skype und lädt die Software auf ihren Computer. Mit einem Pling kündigt sich der Erhalt einer E-Mail an, die Kevin Gomes vor einer halben Stunde abgeschickt hat. Es ist ihm gelungen, mit einem ehemaligen Mitglied der Zeugen Jehovas in Niort Kontakt aufzunehmen und zu chatten. Der Mann scheint eine Menge über die Familie Vignola zu wissen und ist laut Gomes wirklich gut. Rachel soll sich mit ihm in Verbindung setzen, denn der Typ ist bereit, sich mit ihr zu treffen – er bittet nur vorher um eine Bestätigung per E-Mail. Treffpunkt ist morgen, fünfzehn Uhr vor dem Geschäft Le Thermomètre am Place de la République. Rachel schreibt sofort eine Mail an die Adresse [email protected], ehe sie sich zu einem Dankeschön an Kevin durchringt. Siebzehn Minuten später schläft sie wieder ein. Gar nicht so schlecht.

15
    Brooklyn, Watchtower Society, einundzwanzig Monate vorher
    Mit der Akte Shipments/Belarus unter dem Arm tut Susan so, als habe sie sich in den endlosen Fluren verlaufen, die sie eigentlich wie ihre Westentasche kennt. Man braucht in der Tat eine ganze Weile, ehe man sich in diesem Labyrinth aus neonhellen Tunneln und gläsernen Röhren zurechtfindet, welche die unzähligen Gebäude der Watchtower Bible and Tract Society miteinander verbinden. Die Zentrale der Zeugen Jehovas befindet sich seit einem Jahrhundert am Fuß der Brooklyn Bridge und gleicht einem wahren Bienenstock, den die Gläubigen allerdings nie verlassen müssen, denn hier finden sie in einer im Winter geheizten und im Sommer klimatisierten Umgebung alles, was sie brauchen. Susan Barnes lebt mit ihrem Vater Abigail und ihrem Zwillingsbruder James in den Watchtower Buildings, seit sie kurz nach ihrem vierten Geburtstag nach New York zurückgekehrt sind.
    Die junge Frau, die so gern Umwege läuft, hält kurz inne und überlegt, ob sie nicht doch noch schnell die soundsovielte Pause in der Cafeteria einlegen soll. Aber nach einem schnellen Blick auf die Uhr beschließt sie, dass es Zeit wird, wenigstens kurz an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen. Sie biegt nach rechts ab, läuft zehn Unbekannten und einem ehemaligen Kollegen vom Möbelservice über den Weg, dem sie flüchtig zunickt, bleibt stehen und öffnet eine Tür. Logistikservice, Abteilung Europa.
    Drei weibliche Augenpaare fortgeschrittenen Alters wenden sich sofort in ihre Richtung. Susan, die schön, jung und gertenschlank ist, lässt sich nicht aus der Fassung bringen, geht gleichmütig zu ihrem Schreibtisch und setzt sich. Mit honigsüßer Stimme nörgelt die

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