Entfuehrung nach Gretna Green
fahren Sie mit Ihrer Geschichte fort. Ulster hat Sie also beschuldigt, Sie würden beim Kartenspiel betrügen -und weiter?“
„Mir blieb keine andere Wahl. Ich musste ihn zum Duell fordern.“
„Wer hat gewonnen?“, wollte Venetia wissen.
Der junge Lord biss sich auf die Unterlippe und sagte dann mit sehr leiser Stimme: „Niemand.“
Venetia beugte sich vor. „Wie bitte?“
Er räusperte sich. „Ich sagte niemand. Wir ... Wir haben uns bis jetzt noch nicht getroffen.“
Mit schief gelegtem Kopf dachte Venetia über die Angelegenheit nach. „Wann ist die Sache beim Kartenspiel passiert?“
„Vor drei Tagen.“
Vor drei Tagen. Also unmittelbar, bevor er sie entführt hatte und ... Sie starrte ihn an. „Darum wollen Sie also auf den Kontinent.“
Gregors leises Lachen untermalte Ravenscrofts Zusammenzucken.
„Siehst du, meine Liebe?“, sagte Gregor mit ruhiger Stimme, in der jedoch ein scharfer Unterton mitschwang. „Ich habe dich nicht nur davor gerettet, gegen deinen Willen durchzubrennen, sondern dich auch vor einem grauenhaften Leben als Ehefrau eines verbannten Mannes bewahrt.“
Wut flammte in Venetia auf. „Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, Ravenscroft. Sie brachten mich nicht nur mit der Lüge, meine Mutter sei krank, dazu, mit Ihnen diese Reise anzutreten, sondern Sie planten außerdem, mich gegen meinen Willen mit auf den Kontinent zu nehmen, wo wir uns ständig hätten verstecken müssen.“
„Nun ... ja. Ich dachte, das würde Ihnen gefallen.“
Sie war dicht davor zu explodieren. „Sie dachten, ich würde so etwas genießen? Von einem Land zum anderen zu ziehen, ohne Hoffnung, jemals nach England zurückkehren zu können ...
„Wir hätte zurückkehren können.“
„Wann?“
„Irgendwann wäre Ulster bereit gewesen, mir die Schulden zu erlassen.“
„Und wie hätten Sie das erreichen wollen?“
„Ich ... Ich dachte, vielleicht könnte Ihr Vater ..."
„Sie dachten, mein Vater würde darum betteln, dass Sie nach England zurückkehren dürfen?“
„Ihr Vater mag mich!“
„Ebenso wie meine Mutter. Aber diese beiden würden nicht mit Ihnen auf dem Kontinent leben müssen, nicht wahr?“ „Nein“, erwiderte Ravenscroft in mürrischem Ton. „Ich ging davon aus, dass sie ihrem Schwiegersohn gerne bei seinen Angelegenheiten zur Seite stehen würden.“
„Ich bin sicher, sie würden auch gerne selber verbannt werden. Wie ich sie kenne, würden sie es für ein großes Abenteuer halten, sich vor der Polizei zu verstecken und unter falschen Namen in billigen Kaschemmen abzusteigen. So sehr ich meine Eltern auch liebe, niemand würde behaupten, dass sie auch nur über ein Quäntchen gesunden Menschenverstand verfügen. Ich hingegen würde unter solchen Lebensbedingungen zugrunde gehen.“
Ravenscroft sprang von seinem Stuhl auf. „Ven... Miss Oglivie, ich schwöre, ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, Sie könnten etwas dagegen haben. Man hört, es soll wundervoll in Italien sein. Es gibt dort Villen und die Geschäfte, in denen die verschiedensten Waren angeboten werden, und alle nur erdenklichen Vergnügungen ...“
„Und wie, verraten Sie mir das bitte, würden wir diese Villen und Waren und Vergnügungen bezahlen?“
Verzweifelt schaute Ravenscroft sich im Zimmer um, wo er aber immer noch keinen Ausweg aus seiner Misere entdeckte, sondern nur Gregors amüsiertes Gesicht und Venetias entrüstete Miene.
„Was für wundervolle Vorbereitungen haben Sie denn getroffen? Haben Sie zufällig ein Haus gekauft?“, verfolgte Venetia das Thema weiter.
„Äh. Nein. Dafür fehlte mir das Geld.“ Sein Blick streifte Venetia Gesicht, und er fügte eilig hinzu: „Ich bin sicher, es hätte sich etwas gefunden.“
„Ich weiß nicht, wie ich auf den Gedanken verfallen konnte, Sie würden diese Reise ohne sorgfältige Vorbereitungen antreten“, stellte Venetia in ruhigem Ton fest.
Ravenscroft wirkte erleichtert, doch Gregor kannte Venetia besser.
Sie war eine Rachegöttin - das Kleid zwar schmutzig und zerknittert, das Haar eine wilde Masse, die nicht mehr von den Haarnadeln gebändigt werden konnte, aber ihre grauen Augen schossen silberne Blitze, und ihre weiche Haut war rosig vor Ärger und Aufregung. Seit dem Morgen dieses Tages war Gregor durch die Hölle gegangen. Venetias Verschwinden hatte ihn gezwungen, sich selbst etwas höchst Ärgerliches einzugestehen: die Notwendigkeit ihrer Freundschaft. Er fand es nicht bloß angenehm, sie in seinem Leben zu
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