Entrissen
klammern?«
»Niemand hat sich an Strohhalme geklammert. Wir haben gute, ehrliche Ermittlungsarbeit geleistet.«
»Und leider den Falschen erwischt.«
Fenwick seufzte. »Wir müssen den Mörder finden. Darauf läuft alles hinaus. Wir müssen ihn finden. Ich dachte, wir hätten ihn.« Während er sprach, ballte er die Hände zu Fäusten. »Ich wollte unbedingt glauben, dass er es ist ...«Er öffnete die Hände wieder. »Aber er war es nicht. Vielleicht habe ich das ganz tief in mir drin sogar gewusst.« Wieder ein Seufzer. »Also, wie gesagt, es tut mir leid. Ich fürchte, Sie waren ein Opfer der ganzen ... Situation.«
Marina nickte. Ihr Zorn verrauchte allmählich. Nicht dass sie Fenwick das hätte wissen lassen. »Man sagt, unter Stress kommt der wahre Charakter eines Menschen zum Vorschein«, meinte sie trocken.
Er lächelte schwach. »Dann bin ich wohl ein Trottel. Noch dazu einer mit schlechten Manieren.«
Sie konnte sein Lächeln nicht erwidern. »Erwarten Sie von mir bloß keinen Widerspruch.«
»Nein.« Als Zeichen der Annäherung legte er die Hände auf den Tisch. »Ich glaube, was ich sagen will, ist dies: Wir brauchen Sie. Dieser Fall braucht Sie. Ihr Input ist von unschätzbarem Wert. Wenn wir den Mann fassen wollen, der das getan hat, dann müssen wir unsere Herangehensweise radikal ändern.«
»Inwiefern?«
»Mein Ansatz hat nicht funktioniert. Also will ich, dass Sie und Ihre Sicht der Dinge von jetzt an im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen. Ich will, dass wir uns von Ihrer Erfahrung leiten lassen.«
Marina hob eine Braue.
»Ja, ich weiß, ich weiß. Das hätten wir von Anfang an tun sollen. Ich habe Ihnen ein Versprechen gegeben und es nicht eingehalten. Ich bin nervös geworden. Es war alles so viel auf einmal... es tut mir leid.«
»Das sagten Sie bereits.«
»Also.« Er rieb die Handflächen aneinander und lächelte sie wieder an. »Sind Sie noch an Bord? Wir brauchen Sie. Bitte.«
Sie musterte ihn. Sein Lächeln war dünn und vermochte nicht den Zweifel und die Unruhe in seinen Zügen zu verbergen. Am liebsten hätte Marina ihm einfach gesagt, er solle verschwinden, und wäre gegangen; dann überlegte sie, ob sie einwilligen, ihn aber noch ein bisschen zappeln lassen sollte. Aber schließlich entschied sie sich für den direkten, den ehrlichen Weg. Sie dachte an die Fotos der ermordeten Frauen, die im Büro am Whiteboard hingen. Die Vorher- und Nachher-Bilder. Sie spürte, wie das Kind sich in ihr bewegte, und instinktiv legte sie einen Arm um ihren Bauch.
»Ja, Ben. Ich bin noch dabei. Aber nicht Ihretwegen.«
Diesmal war sein Lächeln echt und voller Erleichterung. »Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen vielmals. Ich bin -«
»Aber diesmal halten Sie Ihr Wort. Ich bin nicht als Statist hier. Klar?«
Er hob die Hände. »Glasklar.« Er wollte noch mehr sagen, aber das plötzliche Auftauchen von Phil an ihrem Tisch ließ ihn innehalten. Phil war außer Atem und stand wie unter Strom. Seine Stirn war gerunzelt, sein Körper angespannt. Marina wusste, was er sagen würde, noch bevor er den Mund aufgemacht hatte. Sie wusste es einfach. Sie stand auf und griff nach Tasche und Mantel.
»Er hat wieder zugeschlagen«, sagte Phil. »Ein weiterer Mord.«
Fenwick sprang ebenfalls auf.
»Marina«, sagte Phil und sah Fenwick an. »Sie nicht, Sir.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich um und eilte davon.
Fenwick ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken.
52
Hester hielt das Baby im Arm und lächelte. Sie war wieder stolze Mutter.
Als Erstes hatte sie dem Baby mit einem alten Lappen, den sie zu dem Zweck ausgewaschen hatte, das Blut abgewischt. Dann hatte sie es in mehrere Decken gewickelt, und nun saßen sie beide neben dem Ofen, wo es schön warm war. Sie würde nicht noch einmal dieselben Fehler machen.
Aber so war das Leben, das hatte sie irgendwo gelesen oder im Fernsehen gesehen: ein Lernprozess. Und genau das war es, was sie jetzt tat: Sie lernte, für ein Baby zu sorgen.
Ihr Mann war wie elektrisiert gewesen, als er ihr das Baby gebracht hatte. Noch nie hatte sie ihn so voller Erregung erlebt. Die Jagd, hatte er gesagt. Das liege an der Jagd. Ihr war das egal, sie wollte bloß das Baby. Er war danach noch eine Weile im Haus geblieben, als sei er so voller Energie, dass er nicht wusste, wohin damit. Aber irgendwann war er dann doch wieder gegangen.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dieses neue Baby nicht so schwach und krank war wie das erste. Zum
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