Entrissen
Liebe, sondern irgendetwas anderes. Wie vorhin, als sie die Frau im Fernsehen gesehen hatte. Dinge, die sie nicht benennen konnte.
Sie seufzte. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Von jetzt an und für immer.
Dafür sorgen, dass das Baby aufhörte zu schreien.
56
Phil saß auf dem Sofa, Marina daneben. Ihnen gegenüber hatte Erin O'Connor Platz genommen.
Phil konnte nachvollziehen, warum ein Mann wie Graeme Eades bei ihr schwach geworden war. Sie saß in einem Sessel, die Beine untergeschlagen, in der Hand ein Glas Weißwein. Ihr Körper war genauso warm und einladend wie ihr Blick kalt. Augen wie zwei Rechenmaschinen. Aber vermutlich hatte Graeme Eades ihr nicht allzu oft in die Augen gesehen. Phil schätzte sie auf Mitte zwanzig. Sie hatte die langen dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und trug eine pinkfarbene Jogginghose aus Velours mit einer dazu passenden Kapuzenjacke. Darunter ein enges weißes T-Shirt. Ihr Outfit ließ darauf schließen, dass sie gerade vom Sport kam. Sie kümmerte sich um ihren Körper, ihren wertvollsten Aktivposten.
Sie nippte an ihrem Weißwein. Phil und Marina hatte sie nichts zu trinken angeboten. Ihr Haus war klein, ein Drei-Zimmer-Reihenhaus in New Town. Es war geschmackvoll möbliert, wirkte aber dennoch unbewohnt. Phil vermutete, dass Erin O'Connor nicht vorhatte, noch lange in diesen vier Wänden wohnen zu bleiben.
Graeme Eades hatte ihnen Erins Telefonnummer gegeben, der Rest war einfach gewesen: Phil hatte bei ihr angerufen, erklärt, wer er war, sich ihre Adresse geben lassen und war hergefahren. Worum es ging, hatte er ihr nicht gesagt, nur dass es wichtig sei.
Marina hatte ihn begleitet. Eigentlich hatte er sie nach Hause fahren wollen, aber Erin O'Connors Wohnung lag auf dem Weg, also war sie kurzerhand mitgekommen. Er hatte nichts dagegen, zumal sie ein Mitglied seines Teams war. Marina hingegen schien die Situation nicht recht zu behagen. Sie saß auf der Sofakante und sah sich unsicher im Raum um. Phil konnte nur hoffen, dass ihr dabei etwas auffiel, was ihnen Aufschluss über die Bewohnerin geben konnte.
»Also, worum geht es denn nun?« Erin O'Connor gab sich Mühe, sowohl gefasst als auch verblüfft zu wirken, was ihr allerdings nicht sonderlich gut gelang. Sie schien angespannt.
Ein unerwarteter nächtlicher Besuch von der Polizei kann einen schon ein wenig aus der Fassung bringen,
dachte Phil. Ihre Stimme dagegen klang voll und sanft, als habe sie Sprechunterricht genommen, um auch die letzten Reste ihres Essex-Akzents loszuwerden.
Phil beugte sich vor - vertraulich, aber professionell. Er spürte die Müdigkeit in seinen schmerzenden Muskeln. Die Anspannung des Tages und der Nachhall seiner Panikattacke von vorhin machten sich bemerkbar. Was er jetzt brauchte, war ein Bad. Ein langes, heißes Bad. Und ein großes Glas Whisky. Teuer und torfig. Oder einen guten Bourbon. Er blinzelte.
Konzentrier dich.
»Also«, sagte er und wandte seine ganze Aufmerksamkeit Erin O'Connor zu. »Am Telefon konnte ich nicht viel zu der Angelegenheit sagen, aber ich vermute, Sie sind mit Graeme Eades bekannt?«
Erin O'Connor versteifte sich, das Weinglas blieb auf halbem Weg zu ihren Lippen in der Luft stehen. »Ja«, sagte sie, und ihr Gesicht war eine ausdruckslose Maske. »Das stimmt. Er ist mein Chef.«
Phil nickte. »Mehr als nur Ihr Chef, wenn ich richtig informiert bin.«
Sie hielt ihr Weinglas so fest, dass Phil befürchtete, sie würde es zerbrechen. Sie musste zu dem gleichen Schluss gekommen sein, denn sie stellte es ab und schlang stattdessen die Arme fest um ihren Körper. »Worum geht es denn?«
Red nicht lange drum herum,
ermahnte Phil sich.
Sie ist schon groß, sie wird es verkraften. Sehr groß an einigen Stellen,
fügte er im Geiste noch hinzu. »Unseren Informationen zufolge haben Sie den heutigen Nachmittag mit ihm im Holiday Inn verbracht.«
»Na und? Wenn schon. Das ist schließlich nicht verboten.« Dann fragte sie, bevor Phil nachhaken konnte: »Brauche ich einen Anwalt?«
Phil zuckte mit den Schultern. »Sagen Sie es mir. Während Sie heute Nachmittag mit Mr Eades zusammen waren, ist jemand bei ihm zu Hause eingebrochen und hat seine Frau überfallen. «
Erin blieb der Mund offen stehen. Phil hatte genug Zeit, ihre strahlend weißen geraden Zähne zu bewundern - zweifellos das Werk eines teuren Zahnarztes -, und fragte sich, ob Graeme Eades sie ihr wohl spendiert hatte. »Sind Sie ... aber ich war mit Graeme zusammen!
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