Entrissen
Glauben Sie etwa, ich war das?«
Ihr Essex-Akzent war wieder etwas zu hören, bemerkte Phil.
»Durchaus nicht.«
»Was glauben Sie dann? Dass ich weiß, wer es war?« »Und? Wissen Sie es?«
»Nein!« Ihr Akzent war wieder voll da. »Natürlich nicht. Mein Gott... haben sie ... was ist passiert? Wurde viel gestohlen?«
Phil wusste, dass auch Marina die Bedeutung dieser Bemerkung registriert hatte. Erin fragte nicht, ob es Mrs Eades gutging, sondern nur, ob etwas gestohlen worden ist. Diese Reaktion bewies ihm, dass sie nichts über den Mord wusste. Jetzt mussten sie nur noch ihren genauen Tagesablauf rekonstruieren und ihre Zeitangaben mit denen von Graeme Eades abgleichen.
»Es war kein Raubüberfall, zumindest gehen wir bislang nicht davon aus«, sagte er. »Sie wurde ermordet.«
Erins Hand flog an ihren Mund. Ihre Augen wurden groß. »Oh Gott...«
»Ich muss bloß wissen, von wann bis wann Sie mit Mr Eades zusammen waren.« »Du liebe Güte ...« »Bitte.«
»Oh ...« Erin O'Connor dachte nach. Dann kniff sie plötzlich argwöhnisch die Augen zusammen. »Verliere ich wegen der Sache jetzt meinen Job?«
»Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen«, antwortete Phil. Langsam hatte er genug von dieser Frau. »Darüber müssen Sie sich schon mit Graeme Eades unterhalten.«
»Oh ...«
»Um wie viel Uhr haben Sie sich getroffen?«
Sie dachte nach. »So um halb zwei, zwei, glaube ich. Gegen fünf bin ich - sind wir - wieder gegangen. So ungefähr.«
»Kann das irgendjemand bestätigen? Haben Sie ausgecheckt?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Graeme hat das Zimmer bezahlt. Er hat alles im Voraus geregelt. Als wir fertig waren, sind wir einfach gegangen.«
Phil unterdrückte ein Gähnen. Er hätte die Vernehmung verschieben sollen. Er war zu müde.
Neben ihm meldete sich Marina zu Wort.
»Würden Sie sagen, Graeme Eades war Ihr Freund, Erin?« Ihr Tonfall war weich und sanft. Offenbar hatte sie ihr anfängliches Unbehagen überwunden. Phil hielt den Blick auf Erin geheftet, um zu sehen, wie sie reagieren würde.
Erin runzelte erneut die Stirn, nahm dann einen Schluck Wein, bevor sie antwortete. Marina gegenüber schien sie offener und entspannter zu sein. »Na ja, vielleicht mein ...«
»Liebhaber?«, schlug Marina vor.
Erin nickte. »Genau. Mein Liebhaber.«
»Das scheint mir eine etwas seltsame Paarung zu sein. Ich meine, Sie sind jung und attraktiv ...«
Phil meinte zu sehen, wie Erin O'Connor errötete.
»Und Graeme ist ... nun ja. Ich habe ihn kennengelernt.« Marina lächelte. »Ich hätte gedacht, Sie könnten etwas Besseres haben.«
»Er ist mein Chef«, entgegnete Erin, als würde das alles erklären.
Und irgendwie,
dachte Phil,
tat es das wohl auch.
»Hat er viele Freundinnen?«, fragte Marina weiter. »Geliebte unter seinen Angestellten?«
»Keine Ahnung. Er hat gesagt, nein.«
»Und hat er Ihnen versprochen ...« Marina machte eine vage Handbewegung, als sei ihr die Frage eben erst in den Sinn gekommen. »Ich weiß nicht... Ihre Karriere zu fördern?«
»Genau!«, rief Erin O'Connor laut, als sei sie heilfroh, dass Marina es ausgesprochen hatte. »Er hat gesagt, wenn ich mit ihm schlafe, befördert er mich.«
»Und hat er Sie befördert?«
»Er hat es mir versprochen. Morgen wollte er alles auf den Weg bringen, hat er gesagt.«
Marina zuckte mit den Schultern. »Tja, jetzt sehen die Dinge wohl etwas anders aus, meinen Sie nicht?«
Phil maß Marina mit einem beeindruckten Blick. Marina unterdrückte ein kleines Lächeln. Phil hatte recht gehabt, Erin O'Connor wusste nichts über den Mord. Sie würde sich einfach auf den nächstbesten Mann stürzen, der ihrem Charme erlag. Er machte Anstalten aufzustehen.
»Wissen Sie, was er gesagt hat?«, fragte Erin plötzlich. In ihrer Stimme schwang Bitterkeit mit, als wäre ihr soeben nicht nur klar geworden, dass Graeme Eades sie niemals befördern würde, sondern dass sie statt Zeit mit ihm zu verschwenden, diese auch mit jemand Vielversprechenderem hätte verbringen können.
Phil blieb sitzen. »Was? Was hat er gesagt?«
»Heute. Heute Nachmittag. Es war, als wir gerade ... dabei waren. Ich habe ihn gefragt, ob es ihm gefällt. Und wissen Sie, was er gesagt hat?«
Marina und Phil warteten. Sie wussten, dass die Frage rein rhetorisch gewesen war.
»Er sagte: Wenigstens muss ich jetzt nicht mehr dafür bezahlen.«
»Wie charmant«, bemerkte Marina.
»Wenigstens muss ich jetzt nicht mehr dafür bezahlen ...«
Es gab nichts weiter zu
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