Entrissen
Kollegen zu treffen.
Er ging hinein und sah sich als Erstes in der ungewohnten Umgebung um.
Keine Polizistenkneipe,
dachte er.
Nur Phil konnte er sich hier vorstellen.
Die Wände waren kahl bis auf einige Flyer, die für Konzerte im Arts Centre und Theateraufführungen im nahegelegenen Mercury Theatre warben. Die Einrichtung bestand aus zusammengewürfelten alten Holzmöbeln, der Dielenfußboden war abgezogen. An einem Tisch saß eine Gruppe Männer in farbbespritzten Overalls, Szenenbildner und Maler aus dem Theater. Einige Gruftis lungerten an der Bar herum, und trotz ihrer monströsen Piercings und der bedrohlich wirkenden Gesichtsbemalung sahen sie so aus, als könnten sie niemandem etwas zuleide tun - außer vielleicht sich selbst.
Der Grundriss des Pubs folgte keinem erkennbaren Plan. Er sah aus, als sei über die Jahre immer wieder angebaut worden. Die so entstandenen Höhenunterschiede zwischen den einzelnen Räumen waren mit Stufen überbrückt. Es gab große offene Räume und kleine Nischen, hohe Decken und niedrige Gewölbe. Clayton ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und runzelte missmutig die Stirn, als er die Musik hörte, die aus der Jukebox dröhnte. Nervtötendes Wummern - so etwas würde ihm nie gefallen, und wenn er hundert Jahre leben würde.
Er hielt Ausschau nach der Person, die ihn per SMS um ein Treffen gebeten hatte. Er entdeckte sie schließlich im abgeschiedenen hinteren Teil des Pubs, wo sie auf einem Sofa unter einer hölzernen Deckenschräge Platz genommen hatte.
Sophie.
Sie hatte einen Drink vor sich stehen - Wodka und Coke, nahm er an - und trug Jeans, Stiefel und eine glänzende schwarze Steppjacke. Neben dem Sofa auf dem Boden stand eine Reisetasche. Er ging zu ihr, allerdings nicht, ohne sich vorher erneut zu vergewissern, dass auch wirklich niemand hier war, den er kannte.
»Sie haben dich laufenlassen?«, fragte er anstelle einer Begrüßung.
»Mussten sie. Hatten keinen Grund, mich weiter festzuhalten«, antwortete sie und nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas.
Er setzte sich neben sie. »Ich geh ein ziemliches Risiko ein, mich mit dir hier zu treffen. Ich hoffe, das ist es auch wert.«
Sie stellte ihr Glas wieder auf dem niedrigen Tischchen ab und straffte die Schultern, wodurch sich ihr Busen noch ein wenig nach vorn schob. Sie lächelte flüchtig. »Ich bin es wert.«
Clayton schwieg.
Sophies Laune kippte. Das Lächeln verschwand, und etwas Finsteres trat an seine Stelle. »Ich hab Schluss gemacht«, verkündete sie.
»Mit Brotherton?«
»Mit wem denn sonst?« Ihr barscher Tonfall passte zu ihrer Miene.
Clayton wünschte sich, er hätte sich an der Bar einen Drink geholt. »Wie hat er reagiert?«
Sie machte ein langes Gesicht und sah auf die Tischplatte hinab. »Hab's ihm noch nicht gesagt. Ich bin einfach nur nach Hause gegangen, hab meine Sachen geschnappt und bin weg. Er wird's schon merken, wenn er heimkommt.«
»Da wird er aber ziemlich sauer sein.«
»Nicht mein Problem. Sie nahm einen weiteren Schluck von ihrem Drink, diesmal einen großen.
Clayton warf verstohlen einen Blick auf die Uhr. Er fragte sich, was Phil und das Team wohl jetzt gerade machten. Dass er von dem Fall abgezogen worden war, machte ihm immer noch zu schaffen. Wie ein Stürmer, der keine Tore mehr schießen konnte. Natürlich wusste er, dass es nichts mit seinen Fähigkeiten zu tun hatte - aber es kam ihm so vor. Er schämte sich deswegen. Sein erster Gedanke war gewesen: Wie bringe ich das nur meiner Mam bei? Sie war immer so stolz auf meine Leistungen. Und jetzt wurde er von dem größten und wichtigsten Fall abgezogen, an dem er je gearbeitet hatte. Wie gesagt, nicht aus eigenem Verschulden - aber wie würde sie reagieren, wenn sie es herausfand? Statt mit den anderen zu ermitteln, saß er hier in einer muffigen Kneipe herum. Aber was hatte er für eine Wahl? Als Sophie ihn angerufen hatte, hatte sie ihm nicht gesagt, worum es ging, aber er wusste: Wenn auch nur die geringste Chance bestand, dass es etwas war, womit er seine Karriere retten konnte, dann musste er sich mit ihr treffen.
Tja. So viel dazu.
»Na dann, viel Glück.« Er stand auf und wollte gehen.
»Was machst du da?« Sie hob den Kopf.
Als er sich zu ihr umdrehte, fiel sein Blick direkt in ihren Ausschnitt.
Was soll's?,
dachte er trotzig.
Wenn er schon mal da ist.
»Ich geh nach Hause. Was gibt's denn noch zu sagen? Du hast ihn verlassen, schön für dich. Viel Glück für dein weiteres Leben.«
Wut
Weitere Kostenlose Bücher