Entrissen
worden. »Und das ist der versuchte Mord, den Sie ihm anlasten?«
»Wie wollen Sie es denn sonst nennen? Was ist mit der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte? Wann soll das passiert sein?«
»Im Polizeigewahrsam. Sie haben ihm einen Anwalt verweigert.«
»Ist mir neu. Wir haben Warnock angerufen, aber der war unabkömmlich. Sie waren bereits unterwegs; in der Zwischenzeit haben wir uns bloß ein wenig unterhalten. Nächster Punkt?«
»Umsatzeinbußen.«
»Er gibt mir die Schuld für die Wirtschaftskrise, wie? Und was war das Letzte? Emotionale Belastungen?«
»Wie es aussieht, hat seine Freundin ihn verlassen.«
»Da kann ich ihr nur gratulieren. Hoffen wir, dass sie einen Mann findet, der sie nicht als Sandsack benutzt. Wäre das dann alles?«
Mehr Rascheln. »Ja. Das ist alles.«
»Gut«, meinte Phil, ein müdes Lächeln auf den Lippen. Das gehörte zum Spiel dazu. Er seufzte. »Na ja, danke noch mal, Linda. Es ist immer wieder nett, mit Ihnen zu plaudern.«
»Mit Ihnen auch, Phil.«
»Ihren Job möchte ich nicht haben.«
Sie lachte. »Und ich nicht Ihren. Wir sollten uns mal wieder auf einen Drink treffen.« Dann legte sie auf.
»Oder auch nicht«, sagte Phil in die tote Leitung hinein, bevor er den Hörer auflegte. Sie waren einmal gemeinsam zum Abendessen aus gewesen. Es war eins seiner unerquicklichsten Dates überhaupt gewesen, und das wollte etwas heißen. Wahrscheinlich hatte sie es bloß aus Höflichkeit gesagt.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und streckte sich. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Brotherton auf dem Kriegspfad. Nicht dass er sich deswegen Sorgen machte. Die Sache würde sich aus der Welt schaffen lassen, nur leider bedeutete das zusätzliche Arbeit, die er nicht brauchte. Zeit und Energie, die er nicht hatte.
Er kippte den Rest seines Kaffees hinunter und warf den Pappbecher in den Papierkorb. Er hatte Marina zur Arbeit gefahren und dann in einem Sandwichladen in der Nähe Kaffee geholt. So erweckte es nicht den Anschein, als seien sie zusammen zur Arbeit gekommen. Denn Phil hatte sich wieder vorgestellt, wie alle Augen auf ihnen ruhen würden, wenn sie das Gebäude betraten. Er fürchtete die neugierigen, wissenden Blicke - das war einer der Gründe, weshalb er noch einmal weggefahren war. In Wirklichkeit jedoch nahm niemand auch nur die geringste Notiz von ihnen.
Wie auch immer, an solche Dinge konnte er jetzt nicht denken. Nicht wenn in fünf Minuten ein Briefing mit dem gesamten Team anstand.
Er suchte seine Unterlagen zusammen und machte sich auf den Weg.
»Ben Fenwick lässt sich entschuldigen«, verkündete Phil und setzte sich. Marina widerstand dem Drang, selbstzufrieden zu grinsen.
»Ich übergebe dann gleich an dich.« Er deutete auf Marina.
Sie nickte und sah in die Runde. Phil, Anni und die Birdies waren da - der harte Kern des Teams. Phil war redlich darum bemüht, so zu tun, als sähe er sie aus rein beruflichem Interesse an. Sie wiederum versuchte, seinen Blicken ganz auszuweichen.
»Danke«, sagte sie. »Also dann. Wir wissen jetzt, dass Brotherton nicht der Täter ist. Sofern mein Profil das noch nicht klargemacht hat, dann der letzte Mord. Ich habe mir Caroline Eades' Fall angesehen und untersucht, wie er zu den anderen passt. Dabei sind mir einige beunruhigende Entwicklungen aufgefallen.«
Sie warf einen Blick auf ihre Notizen, dann fuhr sie fort.
»Serienmörder gehen normalerweise nach einem bestimmten Muster vor. Und ja, wir reden jetzt offiziell von einem >Serienmörder<. Ich glaube nicht, dass es noch irgendwelche Zweifel daran geben kann. Normalerweise folgen sie ein und demselben Schema. Gleicher Opfertyp, gleiche Mordmethode, ähnlicher Tatort. Aber bei unserem Mörder gab es einige auffällige Abweichungen. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob sie wichtig sind, aber ich denke schon.«
Sie spürte einen Stich in der Bauchgegend und presste instinktiv die Hand dagegen. Sie bemerkte, wie Phil sie dabei beobachtete.
»Also«, fuhr sie hastig fort. »Wenn ein Serientäter zum ersten Mal mordet - oder vielmehr: wenn er zum ersten Mal unsere Aufmerksamkeit erregt, vermutlich wird es davor schon andere Vorfälle gegeben haben -, tut er das normalerweise in einer Gegend, die für ihn irgendeine geographische Relevanz hat. In der Nähe seiner Arbeitsstätte, im Umkreis seiner Wohnung, dort wo er seine Jungfräulichkeit verloren hat - was auch immer. Bis jetzt konnten wir beim ersten Mord nichts dergleichen feststellen.«
»Wir
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