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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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geöffnet und gesehen, wie sie ihn anblickte. Sie hatte gelächelt. Und in dem Augenblick wusste er, dass die Gefühle zwischen ihnen stärker waren als bloße Begierde oder körperliche Anziehung. Es war tiefer als jede Verbindung, die er bisher zu einem anderen Menschen gehabt hatte. Es löste eine unbeschreibliche Erregung in ihm aus.
    Und es machte ihm unvorstellbare Angst. Er kam.
    Später, als sie erschöpft und eng umschlungen auf dem Bett lagen, versuchte Phil zu begreifen, was gerade geschehen war. Er sah Marina von der Seite an und wusste, dass es ihr genauso ging. Es war das Gewaltigste, was ihm je in seinem Leben widerfahren war. Er war einfach hingerissen. Und immer noch zu Tode erschrocken.
    Das Licht des frühen Morgens sickerte durch die Vorhänge. Sie hatten kaum geschlafen. Phil schaltete den CD-Player ein, und Elbow erklang leise im Hintergrund: »One Day Like This«. Das euphorische Liebeslied passte genau zu seiner Stimmung.
    »Bekommst du keinen Ärger zu Hause?«
    Ihr Gesicht lag halb im Schatten. »Überlass das nur mir.«
    »Okay.«
    »Gewöhnlich mache ich so etwas nicht«, sagte sie. »Was? Du machst es lieber ungewöhnlich?« Sie stupste ihn an. »Du bist zum Totlachen. Ich meine das hier. Mit anderen Leuten ins Bett springen.«
    »Leuten? Willst du jetzt einen Dreier? Vierer?«
    Ein weiterer Stups. »Du weißt genau, was ich meine!«
    Phil lachte. »Ich weiß. Und warum hast du es gemacht?« Ihre Blicke trafen sich. »Warum hast du mich um ein Date gebeten?«
    Phil wich ihrem Blick aus, die Nähe zwischen ihnen war ihm zu intensiv. »Es schien mir das einzig Richtige.« »Das war es auch«, sagte sie leise.
    Phil wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Also hielt er sie nur noch fester. Spürte, wie die Wunden der Vergangenheit und die Unsicherheit sich verflüchtigten und einem wunderschönen, beängstigenden Frieden und einer Liebe Platz machten, die bis tief in seine Seele reichte. Er hielt Marina, als könne sie jeden Augenblick aufhören zu existieren. Er wusste, dass sie ähnlich empfand. Und wusste, was auch immer die Zukunft bereithielt, sein Leben würde nie mehr dasselbe sein.
    Phil zeigte mit der Fernbedienung auf die Anlage und brachte Elbow zum Verstummen, bevor der Song an die Reihe kam, der ihn an Marina erinnerte. Das wäre nicht vernünftig gewesen: Als würde man ständig an einer Wunde kratzen und sie so am Heilen hindern.
    Er leerte seine Bierflasche und betrachtete das restliche Essen vor sich auf dem Tisch. Er hatte keinen Appetit. Im Kühlschrank war noch eine zweite Flasche, falls er sie brauchen würde. Er spürte einen leichten Kopfschmerz, versuchte aber, ihn zu ignorieren. Er durfte sich nicht gehen lassen. Er hatte noch viel zu tun.
    Er versuchte, alle Gedanken an Marina aus seinem Kopf zu verbannen und seine Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse des Tages zu richten. Er musste sein Herz vor ihr verschließen, Berufliches und Privates strikt trennen und sich darauf konzentrieren, einen Mörder zu finden. Und ein Baby.
    Er ließ die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren. Angefangen mit der Entdeckung der Leichen, durchforstete er jedes Detail auf der Suche nach Hinweisen, die ihm vielleicht entgangen waren und die ihm Verbindungen offenbaren könnten, die ihm bisher verborgen geblieben waren.
    Er verdrängte die Einsamkeit in seiner Wohnung und in seinem Leben.
    Konzentrierte sich ganz auf seine Aufgabe.
    Und merkte nicht, dass er dabei Marinas Lied vor sich hin summte.
     

30
     
    Marina stand am Fenster und wünschte sich, dass das Glas Apfelsaft mit Mineralwasser in ihrer Hand etwas Stärkeres enthielte. Jenseits des Gartens lag ein schmaler Fußweg und dahinter zog der Fluss Colne träge vorbei. Ihr Haus, ein Ziegelcottage, über dessen Veranda Klematis rankte, lag in Wivenhoe, einem malerischen kleinen Fischerdorf, das mittlerweile fast vollständig von Akademikern bewohnt wurde, die an der nahegelegenen Universität lehrten. Im Dorf herrschte eine Atmosphäre entspannter Kultiviertheit. Es war ein heimeliger, sicherer Ort. Aber während sie so dastand und das Glas an die Lippen hob, empfand Marina nichts von alldem.
    Tony bereitete gerade ein spätes Abendessen zu. Nichts Besonderes, nur Pasta Arrabiata. Eigentlich wäre Marina an der Reihe gewesen zu kochen, aber Tony hatte nur einen Blick auf sie geworfen, als sie nach Hause gekommen war, ihr ein Glas Saft in die Hand gedrückt, sie auf die Stirn geküsst und verkündet, dass er für sie

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