Entrissen
einem Fall, in dem das Leben einer jungen Frau auf dem Spiel stand. Aber gleichzeitig eröffnete es ihr völlig neue Horizonte. Und als sie dem Ermittlerteam dann auch noch ein Ergebnis liefern konnte, verschaffte ihr das eine Befriedigung, die sie als Dozentin nie verspürt hatte - und auch nie verspüren würde.
Außerdem lernte sie Phil kennen.
Sie wusste es, schon als sie ihn zum ersten Mal sah. Da war etwas zwischen ihnen, eine sofortige Anziehungskraft. Zuerst hatte sie versucht, sich einzureden, es sei nichts weiter als ein Nebeneffekt der ungewohnten, aufregenden Arbeit, und sie verwechsle eine Mischung aus Adrenalin und körperlichem Begehren mit etwas Stärkerem, Wahrhaftigerem. Aber je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto überzeugter war sie, dass sie tatsächlich etwas Tieferes verband: Ihre Seelen waren sich ähnlich. Sie erkannte etwas in ihm, etwas, dem sie in dieser Form noch nie bei einem anderen Menschen begegnet war und das sie bisher nur bei sich selbst entdeckt hatte. Sie wusste: Wenn es einen Mann gab, der sie verstehen konnte - vollkommen verstehen -, dann war er es.
Daher hatte sie, als er sie um ein Date gebeten hatte, nicht abgelehnt. Trotz Tony. Sie schlief sogar mit Phil. Mehrmals. Und war überrascht, dass sie, statt ein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie Tony betrog, zunehmend das Gefühl hatte, dass ihre Zukunft bei Phil lag.
Dann kam Martin Fletcher.
Der Gemma-Hardy-Fall war abgeschlossen, Fletcher war gefasst, und das Team hatte gefeiert. Marinas erster Ausflug in die Polizeiarbeit war ein voller Erfolg gewesen, und sie hatte sich sofort bereit erklärt, auch weiterhin mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Sie freute sich auf die Zukunft.
Sie war an ihren Lehrstuhl zurückgekehrt und saß eines Abends noch spät in ihrem Büro, um einen Teil des Papierkrams zu erledigen, der sich während ihrer Abwesenheit angesammelt hatte. Sie hatte sich für später noch mit Phil verabredet. Er wollte sie an der Universität abholen, weil er neugierig war, wo sie arbeitete. Sie freute sich schon darauf, ihm ihr Büro zu zeigen. Angst, auf dem Campus mit einem anderen Mann gesehen zu werden, hatte sie nicht, zumal sie ohnehin beschlossen hatte, Tony bei der nächsten Gelegenheit zu sagen, dass sie sich von ihm trennen wolle. Damit er sie an diesem Abend nicht anrief, hatte sie vorsichtshalber das Handy ausgeschaltet.
Irgendwann klopfte es an der Tür, zunächst zaghaft, dann lauter. Sie blieb am Schreibtisch sitzen und bat den Besuch einzutreten. Als sie dann aufblickte, blieb ihr fast das Herz stehen. Der Kugelschreiber fiel ihr aus der Hand.
Vor ihr stand Martin Fletcher.
»Was ... was wollen Sie hier?«
Er sah sich um, als suche er die Antwort auf ihre Frage irgendwo in ihren Bücherregalen. Dann blickte er sie direkt an.
»Dich«, sagte er. Und dann noch einmal: »Dich.«
Marinas Herz machte einen Satz. Sie warf einen raschen Blick zur Tür, kalkulierte die Entfernung, die Hindernisse auf dem Weg dorthin. Fletcher musste derselbe Gedanke gekommen sein. Er wirbelte herum und, bevor sie auch nur von ihrem Stuhl aufspringen konnte, hatte er schon die Tür von innen abgeschlossen und sich dagegengelehnt.
»Wehe, du schreist«, sagte er drohend. »Wehe.«
Sie schluckte. Sie hatte das Gefühl, als säße ihr ein Steinklumpen im Hals. »Es ... ich erwarte Besuch. Er kann jede Minute hier sein.«
»Niemand wird kommen. Alle sind nach Hause gegangen.«
»Doch, es kommt jemand.« Sie atmete so schwer, dass sie das Gefühl hatte, ihr Herz müsste zerspringen. »Phil ... Phil Brennan. Der Detective Inspector. Wir sind hier verabredet.«
Furcht zuckte über Fletchers Züge, als sie Phils Namen erwähnte. Trotz ihrer Furcht dachte Marina wie eine Psychologin.
Er hat Angst vor der Polizei, aber nicht vor mir. Er ist wütend, aber er kann es nicht an ihnen auslassen, also hat er mich als Zielscheibe gewählt.
Der Gedanke war alles andere als beruhigend.
»Warum sind Sie überhaupt auf freiem Fuß?«, fragte sie. »Ich dachte, Sie sitzen in Untersuchungshaft.«
Er lächelte. Es war ein unheimliches Lächeln, als lausche er einem Witz, den ein Geist ihm ins Ohr flüsterte. »Man hat mich freigelassen. Auf Kaution. Eine Formsache.« Dann kehrte die Wut zurück. »Du. Du hast mein Leben ruiniert!«
»Nein, das habe ich nicht.«
»O doch, das hast du!« Er wurde immer wütender. Er stieß sich von der Tür ab und kam langsam auf sie zu. »Du hast mir mein Leben weggenommen. Hast meine
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