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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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leer und ausgelaugt. Sie sah sich um. Das tote Baby lag noch immer in seinem Loch. Sie hob den Spaten auf und begann, Erde darauf zu schaufeln. Jeder Spatenvoll landete mit einem flachen, dumpfen Geräusch, bis der Körper bedeckt und das Loch irgendwann wieder gefüllt war. Sie stampfte die Erde fest und richtete sich auf.
    Die Leere, die sie zuvor empfunden hatte, war nicht mehr da. Der Schmerz in ihrem Innern schon. Er war zurückgekehrt, als ihr Baby langsam unter der dunklen Erde verschwand, und nun wurde er immer stärker. Mit der Scham und Wut ihrer Erinnerungen hatte er nichts zu tun, denn die hatte Hester völlig vergessen oder zumindest verdrängt. Das hier war ein unmittelbarer Schmerz. Und er verlangte nach sofortiger Linderung.
    Sie hielt das tote, kopflose Huhn in der Hand.
    Hier,
sagte ihr Mann.
Du weißt ja, was du damit zu tun hast.
    Sie konnte die Augen nicht von dem Rechteck festgeklopfter Erde abwenden. »Das Baby ist tot...«, sagte sie erneut. Die Worte waren überflüssig, aber sie hatte das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen, um die gähnende Leere zwischen Erde und Himmel irgendwie auszufüllen.
    »Wir wollten doch eine Familie sein«, sagte sie.
    Ihr Mann schwieg.
    »Das Baby hätte uns zu einer richtigen Familie gemacht.«
Wir besorgen uns ein neues.
    Hester lächelte, ihre Augen fingen an zu glänzen. »Wirklich? So machen das andere Paare auch, wenn ihnen etwas passiert -ein Schicksalsschlag. Das macht sie zu richtigen Familien.«
    Es stehen noch mehr Namen auf der Liste.
    Ein weiteres Lächeln huschte über Hesters Züge. »Hast du schon eine ausgesucht? Warst du wieder auf der Jagd?«
    Ich habe schon eine ausgesucht, ja.
    Hester hätte ihn küssen können, so glücklich war sie.
    »Wann können wir es holen?«
    Bald. Und jetzt nimm das Huhn mit rein und mach dich an die Arbeit. Ich krieg langsam Hunger.
    Hester verschwand im Haus. Die Stelle festgetretener Erde würdigte sie keines Blickes mehr. Das alles war jetzt nicht mehr wichtig, es war Vergangenheit. Schnee von gestern. Dies hier war die Gegenwart.
    Sie hatte wieder etwas, worauf sie sich freuen konnte. Sie würde ein neues Baby bekommen und wieder eine Mutter sein.
    Endlich würde sie wieder ganz sein.

ZWEITER TEIL

33
    »Morgen!«
    Clayton schloss seinen Wagen ab, bedachte Anni mit einem strahlenden Lächeln und kam mit großen Schritten über den Parkplatz auf sie zu. Sie versuchte, das Lächeln zu erwidern, aber ihre Gesichtsmuskeln wollten nicht so recht. Also nickte sie bloß. Als er sie erreicht hatte, blieb er stehen und blickte sie forschend an.
    »Was ist los?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
    Sie unternahm noch einen Versuch und zog ihre Mundwinkel leicht nach oben. »Nichts, wieso? Alles bestens.«
    Schon war Claytons Lächeln wieder da. »Schön. Freut mich zu hören.«
    Es braucht nicht viel,
dachte sie,
um Claytons Welt wieder geradezurücken. Na ja, er hatte eben ein einfaches Gemüt. Dafür war er charmant. Und gutaussehend.
Und sie war sicher nicht die erste Frau, die sich davon hatte einwickeln lassen.
    »Also«, meinte sie, noch immer unentschlossen, wie sie es anfangen sollte. »Was hast du gestern Abend so gemacht?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Dies und das. War beim Sport.« Er grinste, als habe er gerade einen Witz gemacht, den nur er verstehen konnte.
    Sie nickte.
    »Und du?«
    »Observierung. Brotherton.«
    Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Wann?«
    Sie zuckte mit den Schultern und bemühte sich, möglichst neutral zu klingen. »Ziemlich spät. Bin noch gar nicht lange fertig. Eigentlich sollte ich im Bett liegen.«
    »Und warum tust du's dann nicht?«, fragte er prompt.
    Anni lächelte in sich hinein.
Schlechtes Gewissen?,
dachte sie.
Glaubst du, ich bin gekommen, um dich bei Phil anzuschwärzen?
»Das wäre wohl das Klügste. Na ja, man muss das meiste aus seinen Überstunden rausholen, stimmt's?«
    Er lächelte wieder, eindeutig erleichtert über ihre Antwort.
    »Recht hast du.«
    Sie war nach dem Ende ihrer Schicht direkt zur Arbeit gefahren. Frisch machen konnte sie sich auch auf dem Revier. Sie hatte auf dem Parkplatz in ihrem Wagen gesessen und auf Clayton gewartet. Was genau sie ihm sagen wollte, hatte sie sich noch nicht überlegt, aber zur Rede stellen wollte sie ihn auf jeden Fall. Und hören, wie er die Tatsache, dass er am Vorabend Brothertons Freundin nach Hause chauffiert hatte, erklären würde. Von dem, was dann im Wagen passiert war, ganz zu schweigen.
    »Und? Hast du

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