Entrissen
daraufhin noch schneller rannte.
Phil drehte sich zu Sophie herum und packte sie bei den Schultern. »Was hat er eigentlich vor?«
Sophie stand einfach nur da und starrte mit offenem Mund nach draußen.
»Können Sie nicht irgendetwas tun? Rausgehen und ihn beruhigen?«
Keine Reaktion. Phil wandte sich wieder zum Fenster. Clayton hatte fast das Büro erreicht. Er schaffte es bis zur Tür und versuchte sie zu öffnen. Abgeschlossen. Sie muss hinter Phil und Sophie ins Schloss gefallen sein.
Phil wollte hin und sie öffnen. Weit kam er nicht.
»Nein! Bleiben Sie weg da!«
Sophie war hinter ihm, hatte ihn sich gegriffen und versuchte, ihn von der Tür fortzuzerren. Sie war überraschend stark. Durch das Bürofenster sah Clayton, was drinnen geschah. Als er erkannte, dass er es nicht rechtzeitig schaffen würde, drehte er sich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon.
Sobald er fort war, ließ Sophie los. Phil drehte sich zu ihr herum. »Das wird ein Nachspiel haben, das verspreche ich Ihnen!«
Sophies einzige Antwort war ein boshaftes Grinsen.
Phil drehte sich wieder zum Fenster. Clayton hielt auf die Lagerhalle zu. Ihr Tor war groß genug, um mehrere Lkws nebeneinander durchzulassen. Glücklicherweise stand es weit offen. Clayton rannte darauf zu, hechtete die letzten paar Meter hinein. Phil war überzeugt, dass sein Sergeant hart auf dem Boden aufgeschlagen war. Er sah sich um und entdeckte eine Tür im rückwärtigen Teil des Büros. »Führt die zur Lagerhalle?«
Sophie zuckte mit den Schultern.
Phil riss die Tür auf. Die Lagerhalle war ein riesiger Raum mit Wänden aus Wellblech und nacktem Betonboden. Clayton lag auf der Erde und hielt sich stöhnend die Schulter.
Kaum war Phil durch die Tür, krachte draußen der Schrott auf den Boden. Verstärkt durch die Wellblechwände der Halle klang es, als würde ein Orchester betrunkener Irrer eine Stockhausen-Symphonie spielen. Phil kniff die Augen zusammen, als könne er dadurch den ohrenbetäubenden Lärm ausblenden. Clayton holte tief Luft und atmete langsam aus. Dann setzte er sich auf.
»Alles in Ordnung?« Phil musste schreien, um das Klingeln in seinen Ohren zu übertönen.
Clayton nickte, dann zuckte er zusammen. »Meine Schulter ...« Er streckte den Arm und ballte die Finger zur Faust. Nickte. »Gebrochen ist sie jedenfalls nicht.«
Phil bückte sich und half ihm auf die Beine. Gemeinsam traten sie hinaus auf den Hof. Unter ihren Schuhen knirschte Metall. Phil sah zum Führerhaus des Krans hinauf. Brotherton saß zusammengesunken im Sitz, den Kopf in die Hände gestützt. Offenbar war ihm klar geworden, was er getan hatte. Phil konnte es nicht genau sehen, aber es sah aus, als weinte der große Mann. Nun, in diesem Zustand würde er wenigstens eine Zeitlang keinen Ärger mehr machen.
»Was meinen Sie, Boss?«, sagte Clayton, der sich immer noch die Schulter rieb. »Versuchter Mord?«
»Ja, gehe ich mal davon aus«, erwiderte Phil.
Es ist wieder einer dieser Tage,
dachte er.
37
Hester stand vor dem Spiegel. Sie war nackt. Sie hasste es, sich zu betrachten, aber manchmal ging es nicht anders. Manchmal musste sie es einfach tun. Es war wie ein Zwang, und sie konnte nichts anderes tun, als ihm zu gehorchen.
Ihr Körper war ihr Tagebuch. Auf ihm war verzeichnet, wer sie einmal gewesen war, wer sie jetzt war, wer sie sein würde. Jede Narbe, jeder Schnitt, jede Veränderung war nichts als ein weiterer Markstein auf der Landkarte ihres Lebens. Ihr Körper erzählte ihre Geschichte, und obwohl es Teile gab, deren Anblick sie kaum ertragen konnte, verspürte sie dennoch hin und wieder das Bedürfnis dazu. Sie musste sich daran erinnern, wer sie früher gewesen war, um schätzen zu können, wer sie jetzt war.
Der Spiegel hing im ersten Stock, vor der Wand mit der Plastikfolie, die sie kürzlich repariert hatte. Es war kalt, denn die Wärme der Gasheizung und des Holzofens drangen nicht bis hier vor. Sie versuchte, ein Zittern zu unterdrücken, als sie sich mit den Händen über Kopf und Körper fuhr.
Kurz nachdem sie sich in eine Frau verwandelt hatte, war ihr Haar schütter geworden. Zunächst hatte sie versucht, die restlichen Haare lang wachsen zu lassen und sie über die kahlen Stellen zu kämmen, aber irgendwann hatte sie einsehen müssen, dass es sinnlos war. Es waren einfach zu viele. Also rasierte sie sich auch den Rest ab und trug stattdessen eine Perücke. Langes schwarzes Haar. Manchmal, wenn sie allein zu Hause war,
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