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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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ihm den Stöpsel ins Ohr, wo sie ihn mit zwei Fingern festhielt. »Jetzt probier es noch mal«, forderte sie ihn auf.
    Phil griff hinter sich und schob den Akku in den Hosenbund. Marina zog das Kabel hinter seinem Ohr zurecht, so dass es glatt an seinem Hals anlag. Sie lauschte auf seinen Atem, fühlte die Wärme seiner Haut. Sie merkte nicht, dass sie die Luft anhielt.
    Phil beobachtete sie schweigend. Sie spürte es, ohne ihn ansehen zu müssen. Sie konnte ihn nicht ansehen. Nicht jetzt. Noch nicht. Ihre Finger zitterten. Sie richtete den Kragen seines Hemds, dann seine Jacke. Trat einen Schritt zurück.
    »So. Schon besser.«
    Phil rührte sich nicht und Marina auch nicht. Sie standen sich stumm gegenüber. Noch immer wich Marina seinen Blicken aus. Sie hätte sich ihm entziehen, sich wieder hinsetzen sollen. Noch einmal ihre Aufzeichnungen überfliegen. Aber sie blieb, wo sie war.
    »Marina ...«
    Phil streckte die Hand nach ihr aus. Sie wollte so sehr, dass er sie berührte. So sehr. Und sie sehnte sich danach, die Berührung zu erwidern. Trotz allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Aber sie konnte nicht. Irgendwo tief in ihrem Innern fand sie einen geheimen Vorrat an Willenskraft und wich zurück. Phil ließ seine Hand sinken.
    »Nicht jetzt, Phil. Du musst dich konzentrieren. Geh da rein und mach das, was du am besten kannst.«
    Er nickte. »Wie sehe ich aus?«
    »Wie ein Polizist, der eine Auseinandersetzung mit einer Baggerschaufel voll Schrott hatte.« »Und? Habe ich gewonnen?«
    Sie lächelte. Es war ein angestrengtes, verkrampftes Lächeln. »Nach Punkten vielleicht.«
    »Na ja.« Er lächelte zurück - genauso verkrampft wie sie. »Besser als nichts.«
    Phil schloss die Augen, holte einmal tief Luft, dann noch einmal. Er konzentrierte sich, bereitete sich auf seine Aufgabe vor.
    »Gut.« Er öffnete die Augen. In ihnen lag keine Spur mehr von dem anderen Phil, Marinas enttäuschtem, verletztem Exliebhaber. Da war nur noch Phil der Detective. Ein Profi mit einem klaren Ziel vor Augen.
    Was auch immer zwischen ihnen gesagt werden musste, konnte warten.
    »Also gut«, sagte er. »Fangen wir an.«
     

39
     
    Brotherton saß zusammengesunken auf seinem Stuhl, die Beine unter dem Tisch ausgestreckt. Er wirkte schon jetzt geschlagen, bevor Phil überhaupt mit ihm angefangen hatte.
    Der Raum war klein und bot gerade ausreichend Platz für zwei Stühle und einen Tisch, und trotz aller Bemühungen der Reinigungskolonne roch er nach ungewaschenen Leibern und verdorbenen Seelen, nach schalem Schweiß und Verzweiflung, nach menschlichem Abschaum in all seinen Formen. Luft, genau wie Hoffnung, war hier drinnen eher knapp.
    Drei der fensterlosen Wände waren mit Akustikplatten verkleidet und in einem tristen Behörden-Graugrün gestrichen. An der vierten Wand hing der Spiegel. Hätte Brotherton aufgeblickt, hätte er darin sein eigenes Gesicht gesehen. Die Tür war massiv und grau lackiert. Eine Neonröhre an der Decke summte leise wie eine sterbende Fliege und gab kaltes, schales Licht ab. Die Art von Licht, die Phil immer aufs Gemüt schlug und ihn an das erinnerte, was er zu Marina über die Aura von Tatorten und leeren Theatersälen gesagt hatte - Orte, von denen sich das Leben verabschiedet hatte.
    Die Atmosphäre, so wusste er, war beabsichtigt. Im gleichen Maße, wie der Beobachtungsraum ein Gefühl von Macht und Kontrolle vermittelte, vermittelte das Vernehmungszimmer Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit.
    Er setzte sich Brotherton gegenüber und versuchte, nicht daran zu denken, dass Marina ihn beobachtete. Er blickte flüchtig auf die Tischplatte. Sie war zerkratzt und bekritzelt, Namen waren auf die Platte geschrieben oder hineingeritzt, Unschuldsbeteuerungen, sogar Liebesbotschaften, anonyme Versuche, Komplizen zu verpfeifen, Erfahrungsberichte über die Polizei im Allgemeinen und bestimmte Polizeibeamte im Besonderen. Phil suchte immer nach seinem eigenen Namen und dem Kontext, in dem er verwendet wurde. Es war ein kleines Stück Unsterblichkeit - zumindest so lange, bis jemand anders darüberkritzelte -, und es erfüllte ihn mit perversem Stolz, dass er bei jemandem einen derart bleibenden Eindruck hinterlassen hatte, dass dieser es aller Welt mitteilen wollte. Selbst wenn diese Mitteilung zum Inhalt hatte, dass der Verfasser Phil Brennan für ein Arschloch hielt.
    Er musterte Brotherton, der keinerlei Notiz von ihm nahm. Dann holte er tief Luft.
    »Okay, Ryan«, begann er und sah ihn direkt an in der

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