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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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hinaus. Er war so, wie sie ihn zurückgelassen hatte. Die Axt lag neben dem Hauklotz. Holzscheite, mit einer Plastikplane bedeckt, stapelten sich an der Hauswand. Motorblöcke und Karosserieteile mehrerer Autos lagen auf der harten roten Erde herum und rosteten vor sich hin. Zwei alte Kühlschränke, ein Zeitungsständer, ein durchweichtes Sofa, einige Kisten aus Kunststoff, ein Haufen Ziegelsteine. Dinge, die sie im Laufe der Zeit zusammengetragen hatte. In ihrem Drahtverhau neben dem angrenzenden Feld pickten die Hühner. Weiter hinten, durch einen Zaun vom Hof getrennt, waren die Schweine. Sie atmete tief ein. So roch ihr Zuhause.
    Der Tag war kalt und klar, der Wind stach wie eisige Nadeln in ihrem Gesicht. Sie stand hinter dem Haus und blickte über den Fluss. Von dort grüßte sie der vertraute Anblick des Hafens, wo die Schiffe vom europäischen Festland anlegten und ihre Fracht entluden. Riesig waren sie, die Containerschiffe. Hester wusste nicht, was sie geladen hatten, hatte nie einen Gedanken daran verschwendet. Sie sah nur zu, wie sie an- und ablegten. Heimwärts in ein anderes Land. Hester war noch nie im Ausland gewesen. Sie war noch nicht einmal drüben im Hafen gewesen. Alles außerhalb ihres Zuhauses kam ihr vor wie ein fremdes Land. Aber der Platz einer Frau war ja auch im Haus. Der Mann war derjenige, der in die Welt hinausging.
    Sie blickte über den Strand. Es herrschte Ebbe, und dort, wo das Wasser gewesen war, hatten sich Steine, Schlamm und Moos abgelagert. Kleine Boote lagen im Schlick vor Anker, die Ketten mit Seetang und Abfall behangen, die Rümpfe voller Algen.
    Hester kannte den Strand. Sie wusste, wo es sicher war, spazieren zu gehen, und wo man im Schlick einsinken konnte. Sie hatte es selbst schon gesehen. Jemand war mit seinem Hund spazieren gegangen und hatte einen Stock geworfen. Der Hund, fett und behäbig, war zu weit hinausgelaufen und hatte nicht auf das Rufen seines Herrn gehört. Schlick, Sand und Wasser hatten ihn verschlungen und ihn nicht mehr freigegeben. Als sein Besitzer kam, war schon nichts mehr von ihm zu sehen. Nur noch ein schlammiger Stock am Boden.
    Der Strand hatte Geheimnisse. Und er hütete sie gut. Hester gefiel das. Weil sie selber auch Geheimnisse hatte. Und auch sie wusste, wie man sie hütete.
    Die auf Pfählen stehenden Holzhäuser, die an den mit Marschgras bewachsenen Sand grenzten, sahen traurig und verlassen aus, als seien sie beim Rückgang der Flut einfach zurückgelassen worden. Als hätte das Meer ihnen versprochen, wiederzukommen und sie zu holen, sein Wort aber nicht gehalten. Also waren sie dageblieben und verrotteten allmählich.
    Neben diesen Strandhäusern und über einen schlammigen Pfad zu erreichen, lag die kleine Wohnwagensiedlung. Die Wagen standen dort schon seit Ewigkeiten, dreißig Jahre mindestens. Vorher hatten dort Häuser gestanden, große alte Häuser, aber die waren abgerissen worden. Ihre Fundamente waren im wuchernden Gras noch sichtbar. Hester hatte nie erlebt, dass der Campingplatz gut besucht war, egal zu welcher Jahreszeit.
    Der Strand lag verlassen da. Zu dieser Jahreszeit war er windgepeitscht und grau. Aber für Hester bedeutete er Heimat. Die einzige Heimat, die sie je gekannt hatte. Die sie je kennenlernen würde.
    Allmählich spürte sie, wie ihr die Kälte in die Knochen kroch. Das machte ihr nicht viel aus, sie war daran gewöhnt. Trotzdem ging sie zurück ins Haus.
    Es gab da nämlich noch etwas, das sie tun musste. Bevor ihr Mann mit dem Baby kam. Etwas, wozu sie ungestört sein musste.
    Sie schloss die Tür hinter sich und ging zur Treppe. Während sie die ersten Stufen erklomm, knöpfte sie ihr Kleid auf.
     

36
     
    Auf der Fahrt in Richtung Braintree fing es an zu regnen. Trommelnd schlugen die Tropfen auf das Autodach. Phil war heilfroh, dass er im Wagen saß und nicht draußen herumlaufen und Nachbarn vernehmen musste wie seine uniformierten Kollegen.
    Clayton saß neben ihm und gab sich ungewohnt schweigsam. Aber Phil dachte sich nicht viel dabei. Er hatte genug andere Sorgen - so viele, dass er nicht einmal daran gedacht hatte, Musik aufzulegen.
    »Glauben Sie«, begann Clayton, »dass Marina recht hat?«
    »Womit?«
    »Damit, dass Brotherton Claire Fielding geschlagen hat. Macht er das wohl auch mit Sophie?«
    »Kann schon sein«, meinte Phil. »Vielleicht hat er sich bis jetzt zurückgehalten, aber sie arbeitet für ihn und wohnt bei ihm, also scheint es ganz so, als sei er auf dem besten Weg

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