Entrissen
Natürlich darf man das heutzutage nicht mehr laut sagen. Politische Korrektheit und der ganze Kram. Dafür würden sie einen sofort drankriegen.«
Brotherton schüttelte den Kopf. »Wem sagen Sie das? Heutzutage kann man gar nichts mehr machen. Manchmal frag ich mich, ob nicht die ganze Scheiß weit den Bach runtergeht.«
Phil lehnte sich zurück und unterdrückte ein Lächeln. »Ich weiß genau, was Sie meinen.«
Er hatte ihn.
40
Es war fast Zeit.
Er hatte genau an der richtigen Stelle geparkt: nicht zu dicht am Eingang zur Siedlung, aber auch nicht zu nah am Haus, um den Verdacht der Anwohner zu erregen. Nicht dass sie eine Gefahr für ihn dargestellt hätten. Wenn er gewollt hätte, hätte er in jedes beliebige Haus reinspazieren und etwas stehlen können, ohne dass die Bewohner auch nur das Geringste gemerkt hätten. Die Leute, die in diesen Häusern wohnten, waren so sehr damit beschäftigt, nach den geifernden Sexmonstern aus den Boulevardblättern Ausschau zu halten, dass sie die Ungeheuer, die sich mitten unter ihnen befanden, glatt übersahen.
Es war heller Tag - zumindest so hell, wie es der graue Novemberhimmel erlaubte. Es war die Zeit, in der sich die meisten Einbrüche ereigneten.
Er stellte den Motor ab und wartete. Ausgehend von seinen Beobachtungen hatte er sich einen Plan zurechtgelegt: auf welche Hindernisse er achtgeben, auf welche Eventualitäten er vorbereitet sein musste. Dann überprüfte er ein letztes Mal den Inhalt der Tasche auf dem Beifahrersitz. Als er zufrieden war, dass er alles dabei hatte, was er brauchen würde, lehnte er sich zurück. Brachte sich in die richtige Stimmung.
Es geschah alles ein wenig überstürzt. Normalerweise hätte er Wochen - sogar Monate - damit verbracht, alles zu planen.
Aber er hatte keine Wochen und erst recht keine Monate. Nicht einmal Tage. Er brauchte sofort ein neues Baby, um das alte zu ersetzen, das gestorben war. Nicht für sich persönlich. Ihm selbst ging es ausschließlich um die Jagd. Das Töten. Das war alles, was zählte. Der ganze Rest war bloß eine Rechtfertigung. Ein Anlass. Das hier - das war das einzig Wichtige.
Er ging noch ein letztes Mal alles in Gedanken durch, dann war er bereit.
Er ließ den Hammer im Ärmel seines Mantels verschwinden und stieg aus dem Wagen. Ging die Straße hinauf.
Der Wind trug den Geruch seiner Beute zu ihm hin.
41
Graeme Eades konnte kaum die Hände am Lenkrad stillhalten, so aufgeregt war er.
Ein ganzer Nachmittag mit Erin. Nicht nur eine hastige Nummer während der Mittagspause in einer leerstehenden Abstellkammer oder auf dem Beifahrersitz seines Seat in einer schattigen Ecke eines Supermarktparklatzes irgendwo am Stadtrand. Nein. Endlich ein ganzer Nachmittag. Nur sie beide.
Er parkte vor dem Holiday Inn und stellte den Motor ab. Das Hotel lag außerhalb von Colchester in Eight Ash Green und sollte mit seiner Architektur wohl an eine amerikanische Ranch erinnern. Es war hauptsächlich auf Geschäftsreisende spezialisiert. Graeme wusste das, weil er bereits des Öfteren Aufenthalte für Partner seiner Firma dort gebucht hatte. Ihm war es egal, denn er würde weder den Fitnessraum noch den Pool benutzen, noch dem hauseigenen Spa einen Besuch abstatten. Sein Aufenthalt hier würde nur kurz sein und war außerdem schon komplett verplant. Die Hauptsache für ihn war, dass das Hotel weit genug vom Stadtzentrum entfernt lag, so dass er nicht befürchten musste, einem Bekannten zu begegnen.
Er stieg aus und schnappte sich die Plastiktüte vom Beifahrersitz, dann schloss er den Wagen ab. Bevor er hergefahren war, hatte er noch dem Ann Summers Sexshop einen Besuch abgestattet, um sich mit Dessous und Accessoires einzudecken, mit deren Hilfe er den Nachmittag so denkwürdig wie möglich gestalten wollte. Strümpfe, ein Bustier, Höschen mit offenem Schritt - alles in Erins Größe, die er heimlich in einem ihrer Kleidungsstücke nachgesehen hatte. Außerdem noch zahlreiches Zubehör: Cremes, Öle, Spielzeug ... er hatte richtig zugeschlagen. Nachdem er erst einmal im Laden war, hatte er sich kaum bremsen können. Am liebsten hätte er die gesamte Auslage mitgenommen. Die junge Frau an der Kasse war sprachlos gewesen, und er hatte sie breit angegrinst.
Das Mädchen ist auch nicht übel,
hatte er bei sich gedacht. Vielleicht ein bisschen klein geraten, und sie hätte gut und gerne ein paar Pfund abspecken können, aber von der Bettkante hätte er sie nicht gestoßen. Er konnte sich
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