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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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ich mich in meine Kammer zurückziehen durfte, hatte ich mich stets bei meiner Mutti zu erkundigen, ob ich ihr noch irgendwie helfen könne. Zu Beginn beschränkten sich meine Aufgaben im Haushalt auf leichte Hilfstätigkeiten. Sie spülte, ich trocknete ab. Ich kehrte den Boden, sie wischte nach und umgekehrt. Solange wir unsere Aufgaben im Duett anpackten, war ich meist mit Eifer bei der Sache. Dies entsprach durchaus dem Zeitgeist unserer damaligen Erziehung: Von klein auf sollten die Kinder lernen, dass sie auch zu Hause ihren Beitrag zum Wohl und Fortschritt unserer sozialistischen Gesellschaft beisteuern sollten.
    Wenn meine Mutti mit dem Ergebnis meiner Arbeit unzufrieden war, erlegte sie mir auf, jede Tätigkeit so lange einzuüben, bis die Leistung stimmte. Zu allem Überfluss war sie als Hausfrau in ihrem Revier nämlich eine ausgesuchte Perfektionistin. Die Wohnung hatte stets vorzeigbar zu sein, Unachtsamkeiten hatten schnell mal strenge Blicke oder Worte zur Folge. Einmal leerte Mutti den gesamten Inhalt meines Kleiderschranks auf den Fußboden, weil sie der Ansicht war, dass er nicht ordentlich genug eingeräumt sei. Um derlei unangenehme Prüfungssituationen zu vermeiden, lernte ich rasch – mit dem Ergebnis, dass mir immer mehr Tätigkeiten überantwortet wurden. Immerhin half Oma Erna anfangs noch tatkräftig mit, Mutti zu entlasten, die es an den Schreibtisch zog. Selbst wenn im Haus alles ordentlich war, dann gab es noch den Garten. Mit der Zeit wurde ich auch immer öfter dazu herangezogen, die Kellertreppe zu fegen, Blätter zusammenzurechen oder Obstbäume zu abzuernten.
    Selbst am Wochenende blieb mir selten Gelegenheit, mich mal auszuruhen. Am Samstag hatten wir vormittags bis um elf Uhr Schule. Gleich nach dem obligatorischen Eintopf meiner Oma zum Mittagessen und dem Abwasch stiegen Oma, Mutti und ich in den Keller hinab. Dort, oder bei schönem Wetter auch im Hof, standen die riesigen Zuber mit heißem Wasser, in denen die Schmutzwäsche der ganzen Woche eingeweicht wurde. Jedes Kleidungsstück musste per Hand gründlich auf einem Waschbrett mit Seife abgeschrubbt, danach wieder und wieder eingetaucht und ausgewrungen werden. Der Waschraum wurde zum Dampfbad; Dunst und Schweiß mischten sich auf der Haut. Zu Beginn war das für mich ein eher spielerischer Ausflug. Ich panschte im warmen Wasser herum und jagte die Seifenblasen, die aus der Lauge aufstiegen. Aber je älter ich wurde, desto aufreibender gestaltete sich der Waschtag für mich. Kaum war diese mühselige Arbeit erledigt, stand der Hausputz auf dem Stundenplan: Staubwischen, Fegen, Putzen, die Linoleumtreppe von oben bis unten bohnern, bis es schließlich um halb sechs Uhr in die Badewanne im Keller ging.
    An solchen Abenden war ich oft ziemlich erledigt. Als einzigen Lichtblick empfand ich die
Flimmerstunde
des Deutschen Fernsehfunks aus Babelsberg, die meistens sowjetische oder tschechoslowakische Märchenfilme im Programm hatte. Für ein Mädchen wie mich, das sich immer schon gerne in Fantasiewelten entführen ließ, war diese filmische Märchenstunde fast die einzige Ausflucht. Westfernsehen war im Hause der Parteisekretärin selbstverständlich tabu, zumindest in Anwesenheit von Kindern. Pünktlich um halb acht Uhr abends verkündeten die Nachrichtensprecher in der
Aktuellen Kamera
die richtige Sichtweise auf das Weltgeschehen. Nur einmal bekam ich auf der Mattscheibe unseres Fernsehkastens der Marke Debüt die knuddeligen Mainzelmännchen des ZDF zu sehen, und ich fand sie sehr niedlich. Doch das war ein einmaliges Versehen, über das Mutti geflissentlich hinwegsah, als hätte es diesen Programmseitensprung nie gegeben.
    Der Sonntag begann gleich nach dem Frühstück gewöhnlich mit den Wochenhausaufgaben für die Schule. Wenn ich nicht vorwärtskam, gab es im schlimmsten Fall durchaus einen Klaps auf den Hinterkopf. »Stell dich doch nicht so dumm an!«, entfuhr es meiner Pflegemutter dann schon mal. Für sie war es besonders wichtig, dass die Fassade stimmte. »Wie steh
ich
denn da, wenn du schlechte Noten bekommst?«, jammerte sie bei der Kontrolle meiner Arbeitshefte.
    Daraufhin bemühte ich mich natürlich nach Kräften, den Anschein zu erwecken, den sie ihrer Umwelt präsentieren wollte. Außenstehenden müssen wir damals wie eine Musterfamilie erschienen sein. Ich gab mich stets artig und zurückhaltend, erledigte meine Arbeit gründlich, antwortete höflich. Und wenn das mal nicht ging, weil die Wut in mir

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