Entscheidung des Schicksals
nicht allein zu ihrer Silvesterparty gehe.“
Offenbar hatte sie den Jahreswechsel ohne Begleitung begangen. Im Unterschied zu ihm. Er war sogar auf mehreren Partys gewesen – Auftritte für Spender und politische Verbündete. Er konnte sich nur nicht erinnern, mit wem er dort gewesen war.
Als sein Blick zu dem schwarzen Abendkleid zurückkehrte, versuchte er verzweifelt, sich nicht vorzustellen, wie sie darin aussah, und zeigte auf das Mantelkleid. Das Ding würde sie vom Hals bis zu den Knien bedecken. Züchtiger ging es nicht.
„Das dunkelblaue geht.“
„Das ist mein Beerdigungskleid.“
„Addie.“
„Ist es“, beharrte sie. „Ich habe es nur zwei Mal getragen. Zu Beerdigungen. Na ja, das eine war eine Gedenkfeier. Für den Mann, dem die Bäckerei gehört hat, bevor die Brinkmeiers sie übernahmen. Ich habe ihn nicht gekannt, aber Olivia, und sie wollte nicht allein hingehen.“
„Vielleicht solltest du es endlich mal zu einem positiven Anlass tragen.“ Ihm gefiel, was sie für die Köchin getan hatte. Es war an der Zeit, dass Addie etwas von dem bekam, was sie so großzügig gab.
Addie war nicht sicher, wie sie es geschafft hatte, aber nach genau sechsundzwanzig Minuten war sie
geduscht, geföhnt, geschminkt und
umgezogen. Selbst Gabe schien beeindruckt zu sein, als sie aus ihrem Zimmer kam. Jedenfalls sah er so aus, als er sie vom Kopf bis zu den Füßen betrachtete.
Sie trug den einzigen guten Schmuck, den sie besaß, die Perlenohrstecker, die sie von ihren Eltern zum achtzehnten Geburtstag bekommen hatte. Außerdem hatte sie sich aus dem Schrank ihrer Mutter eine kleine schwarze Tasche geliehen. Aber obwohl Gabe ihr versicherte, dass sie nicht aussah, als würden sie zu einer Trauerfeier gehen, legte ihre Nervosität sich nicht. Sie war sicher, dass niemand sie für eine der Reichen und Schönen halten würde, die sich an diesem Abend im Musikzimmer der WrightCunninghams versammelten.
5. KAPITEL
„Natürlich macht es mir nichts aus, dass Sie einen Gast mitgebracht haben.
Freunde Ihrer Familie sind hier stets willkommen.“ Mrs. WrightCunningham nahm ihren Mund von Gabes Wange.
„Miss Löwe“, fuhr sie an Addie gewandt fort. „Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Sie interessieren sich also für Geschichte?“
„Vor allem für historische Gärten“, erwiderte Addie, ohne den Blick vom Doppelkinn ihrer Gastgeberin zu nehmen.
„Dann wird dieses spezielle Projekt Sie begeistern. Genau wie uns. Es kommt nicht oft vor, dass wir etwas aus dem siebzehnten Jahrhundert finden.“ Sie schien nicht zu wissen, mit wem sie es zu tun hatte, denn sie legte ihre faltigen, beringten Finger auf Addies Arm. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich den Senator für einen Moment entführe. Ich habe einen Hausgast aus Rockport, den ich mit ihm bekannt machen möchte, und sie trifft sich in wenigen Minuten mit Freunden zum Lunch. Ich überlasse Sie solange der Obhut unserer Vizepräsidentin“, sagte sie und drehte sich um.
„Tiffany“, rief sie. „Dies ist Miss Löwe. Sie ist mit dem Senator hier und interessiert sich für historische Gärten. Würdest du sie den anderen vorstellen?“
Addie sah Gabe an, aber dieser schien den Anflug von Panik in ihrem Blick gar nicht wahrzunehmen. Mrs. WrightCunningham hakte sich bei ihm ein und führte ihn angeregt plaudernd davon.
„Miss Löwe?“
Das Haar der jungen Frau, die auf Addie zukam, war kinnlang wie das der MayflowerNachfahrin, aber es wies sämtliche denkbaren Schattierungen von Blond auf. Ihr eierschalenfarbenes Strickkostüm hatte denselben Stil wie die Garderobe der anderen Ladys, die den exquisit eingerichteten Salon bevölkerten.
Eine perfekt manikürte Hand hob sich. „Tiffany Mellon.“
„Addie“, erwiderte sie und dachte gleichzeitig an ihre rissigen und nicht lackierten Fingernägel.
„Was für ein interessanter Name. Ist das die Kurzform von Adrienne?“
Sie wünschte, es wäre so. „Einfach nur Addie.“
„Oh. Nun ja. Möchten Sie einen Tee?“
Addie wollte nur weg von hier. Der Knoten in ihrem Bauch sagte ihr, dass sie nicht hierher gehörte. Aber sie bejahte Tiffanys Frage, weil es ihr höflich erschien, und folgte ihr zwischen den mit pinkfarbenem Damast bezogenen Sesseln und elfenbeinfarbenen Sofas hindurch. Sie war noch nie zu einem Nachmittagstee gewesen, aber ihre Mutter sprach manchmal davon und brachte übrig gebliebene WasserkresseSandwiches mit. Jetzt wusste sie, was dort ablief, denn zwei Dutzend
Weitere Kostenlose Bücher