Entscheidung des Schicksals
tiefes schwarzes Loch gefallen.
„Zurück aufs College“, antwortete sie und versuchte, die Angst und den Schmerz zu ignorieren. Nie wieder würde sie sich darauf freuen können, dass Gabe nach Hause kam. „Ich werde nach Petersburg ziehen.“ Ohne Job war ein Abschluss wichtiger als je zuvor.
„Ich soll nächste Woche an einem Treffen in Camelot teilnehmen“, fuhr Addie fort. „Wäre es Ihnen recht, wenn ich dann die Sachen hole, die ich jetzt noch nicht mitnehmen kann? Ich muss mir erst ein Zimmer im Wohnheim suchen.“
„Da sehe ich gar kein Problem“, erwiderte Mrs. Kendrick, während sie einen Scheck ausschrieb. „Sie haben ein Treffen?“
„Es ist das regelmäßige Treffen der Historischen Gesellschaft. Ich habe vom Vorstand und dem Amt für Denkmalpflege Briefe bekommen, die bestätigen, dass ich das ProjektKomitee leite.“
„Dann sollten Sie hingehen“, sagte Mrs. Kendrick, als hätte sie Addies Unsicherheit gespürt. „Gabe hat mir gestern erzählt, dass diese ganze Geschichte nur deshalb anfing, weil man Ihnen die Vorarbeiten für das Projekt gestohlen hat.
Und dass er sicherstellen wollte, dass sie in den richtigen Händen bleiben.“ Der goldene Kugelschreiber glänzte im Licht, als sie weiterschrieb. „Ihre Kündigungsgründe sind berechtigt.“ Sie steckte ihn in den Halter zurück. „Aber Sie sollten auch Ihr Projekt schützen.“
Sie riss den Scheck heraus. „Wir haben keinen Einfluss darauf, was die Presse schreibt“, fuhr sie fort und legte das Scheckbuch in die Schublade. „Oder auf das, was andere reden oder denken. Man kann nur erhobenen Hauptes tun, was man für richtig hält.“ Sie hielt ihr den Scheck hin. Über zwei Monatsgehälter, das reguläre und das, das sie als Abfindung gezahlt hätte, wäre Addie entlassen worden. Das Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte, war halb mitfühlend, halb respektvoll. „Bisher halten Sie sich gut.“
Addie nahm den Scheck und faltete ihn. „Danke, Ma’am.“
„Ich danke Ihnen, Addie. Und bitte sagen Sie Ihrer Mutter, sie möchte wieder zu mir kommen.“
„Sie werden Sie doch nicht entlassen, oder?“
Mrs.
Kendrick
verschränkte
nun
die
Hände
auf
der
kakaofarbenen
Schreibunterlage. „Wir werden uns nur unterhalten“, versicherte sie. „Sie brauchen sich um Ihre Mutter keine Sorgen zu machen.“
„Danke“, wiederholte sie.
Mrs. Kendricks einzige Antwort war ein Nicken.
Addie drehte sich um und zwang sich, nicht aus dem Zimmer zu rennen. Sie konnte kaum glauben, was sie gerade getan hatte. Wie aus weiter Ferne nahm sie hastige Schritte vor der Tür wahr, als sie den Knauf drehte und den leeren Flur betrat.
Sie würde das Anwesen verlassen.
Mrs. Kendrick hatte keinen Herzschlag lang gezögert, die Kündigung anzunehmen. Das allein bewies, wie eilig die Frau es hatte, sie loszuwerden.
Aber ihre Mutter würde nicht den Job verlieren. Und sie würde Gabe nicht mehr begegnen. Es würde keine Fotos von ihnen mehr geben.
Erst jetzt gestand sie sich ein, dass ihr Entschluss nicht völlig selbstlos war. Sie ging nicht nur, um Gabe und ihre Mom zu schützen. Sie tat es auch, um sich selbst zu schützen.
Denn Gabe zu lieben hatte keine Zukunft. Die Zeit und die Distanz würden ihr vielleicht helfen, über ihn hinwegzukommen.
8. KAPITEL
„Was ist passiert, Mom? Olivia hat mir gesagt, dass Addie nicht mehr hier ist.“
Flankiert von den Flaggen der USA und Virginias neben seinem Schreibtisch, beugte Gabe sich in dem schwarzen Ledersessel vor und packte den Telefonhörer noch fester. „Du hast sie doch nicht gefeuert, oder?“
„Dein Vater wollte, dass ich es tue“, erwiderte seine Mutter ruhig. „Aber sie hat selbst gekündigt. Hat Olivia dich angerufen?“
„Ich sie. Ich habe seit Dienstag versucht, Addie zu erreichen.“
„Das ist der Tag, an dem sie gegangen ist.“
„Ich weiß.“ Viel mehr als das hatte die Köchin ihm nicht berichten können. „Im Cottage hat Mrs. Löwe erst gestern Abend abgenommen“, fuhr er fort und ging zwischen dem Schreibtisch und dem Fenster mit Blick auf das Kapitol des Bundesstaats auf und ab. „Sie hat nur gesagt, dass Addie fort ist.“ Und sie hatte ihn gebeten, ihre Tochter in Ruhe zu lassen, bevor sie aufgelegt hatte. „Deshalb habe ich heute Morgen Olivia angerufen.“
„Ich nehme an, inzwischen weiß das ganze Personal Bescheid“, erwiderte seine Mutter. „Vorhin habe ich zufällig gehört, wie Marie Ina fragte, ob Addie gegangen ist, um bei dir
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