Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
Vom Netzwerk:
Tolles.«
    Stattdessen saß ich Heiligabend etwas verloren unter dem Weihnachtsbaum. Und wenn ich dann fragte: »Duhu, wo ist denn das Tolle, das ihr mir versprochen habt?«, antworteten Sie: »Wer hat denn gesagt, dass das Tolle für dich ist?« Dann zeigten sie mir freudig erregt ihr neues Auto in der Garage.
    Wer so aufwächst, empfindet eben irgendwann keine Vorfreude mehr. Eine Zeitlang hatte ich noch Hoffnung, nämlich die, dass es eines Tages mal anders kommt. Doch bis zum heutigen Tag habe ich nicht ein einziges Weihnachtsgeschenk bekommen. Manchmal glaube ich, ich war kein Wunschkind.
    Da ich nicht mehr hoffe, käme ich auch nie im Leben auf die Idee, der freie Platz an meinem Zweiertisch im ICE -Speisewagen könnte auf Dauer unbesetzt bleiben – nur weil die Person, die bis eben dort saß, ihre Sachen gepackt und sich in die Schlange der Aussteigenden eingereiht hat. Jeder andere hätte vielleicht Hoffnung, gerade an Tagen wie heute, da der Zug nicht sonderlich voll ist. Ich hingegen finde mich mit dem Schlimmsten ab, kaum dass der Platz frei geworden ist. Nein, ich bin nicht pessimistisch. Ich bin nur unheimlich früh in der Lage, mich in mein Schicksal zu fügen.
    Die Aussichten auf meinen neuen Tischgenossen deprimieren mich schon jetzt. Mindestens so stark wie der Hintern, der sich gerade links neben meiner Schulter befindet und zu einem anderen Menschen gehört, der gleich aussteigen wird und sich ebenfalls in die Schlange der Wartenden eingereiht hat. Ich hasse Hintern, die sich in direkter Nachbarschaft meines Kopfes befinden. Mein eigener Hintern ist mir schon zu nah.
    Der Zug fährt in den Bahnhof ein, und die Reisenden verlassen im Gänsemarsch den Speisewagen. Ein schönes Bild: Menschen, die sich entfernen. Am liebsten würde ich ihnen hinterherrufen: »Und kommt ja nie wieder, ihr Hurensöhne!« Aber warum sollte ich übermütig werden? Den Gehenden werden Kommende folgen, und einer davon wird an meinem Tisch Platz nehmen. Mir gegenüber. Frontal. Und ich werde die Innendesigner der Bahn verfluchen. Im Ernst: Wenn ich den erwische, der sich das Gegenübersitzen im öffentlichen Raum ausgedacht hat. Fremde Menschen mit dem Gesicht zueinander platzieren, wie krank muss man sein?
    Im Speisewagen sitzen jetzt außer mir noch zwei Herren in adretten Anzügen. Sie essen und unterhalten sich leise an dem Vierertisch neben mir, auf der anderen Seite des Mittelgangs. Die anderen Tische sind nicht besetzt. Viel Platz, könnte man meinen, und wüsste ich es nicht besser, würde ich vielleicht tatsächlich denken: »So voll ist der Zug heute gar nicht. Vielleicht habe ich wirklich für den Rest der Fahrt meine Ruhe.« Aber leider bin ich immun dagegen, unbehelligt zu bleiben.
    »Meine Damen und Herren, bitte beachten Sie: Soeben ist Ihr persönlicher Albtraum zugestiegen und wird sich in wenigen Augenblicken an Ihren Tisch setzen. Wir wünschen eine gute Fahrt!«, höre ich meine schadenfrohe innere Stimme sagen, bevor sie vor Lachen feucht in mich hineinprustet. Und sie hat recht: Ein älterer Herr in grünem Trenchcoat und mit einem roten Hut auf dem Kopf betritt den Speisewagen. Seine Augen wandern nervös durch den Raum, offenbar auf der Suche nach einem freien Sitzplatz.
    »Für welchen der vielen freien Plätze er sich wohl entscheiden wird?«, fragt meine innere Stimme scheinheilig. Denn die Sache ist glasklar: Der neue Fahrgast wird bei mir Platz nehmen. Da steuert er auch schon geradewegs meinen Tisch an, die freien Plätze rechts und links lässt er achtlos liegen. Es muss genau dieser Platz an meinem Tisch sein. Ich tauche sofort in mein Buch ab, senke meinen Kopf so weit, dass mein Kinn hart gegen mein Brustbein drückt. Meine Pupillen aber habe ich so weit es geht nach oben gerollt, sodass ich unter der Deckung meiner verwuschelten Augenbrauen hindurch den Reisenden beobachten kann. Er kommt näher und bleibt unmittelbar vor meinem Tisch stehen. Noch immer schaue ich nicht auf, als sei ich ganz in mein Buch vertieft und hätte den Eindringling tatsächlich nicht bemerkt.
    »Sie brauchen gar nicht so bescheuert nach unten gucken. Ich weiß genau, dass Sie mich beobachten.«
    Mit einem dumpfen Schlag lässt er sich auf der Bank nieder. Das klang jetzt aber nicht wie das erwartete »Ist hier noch frei?« Ich blicke auf und simuliere mit einer erbärmlichen schauspielerischen Performance Überraschung.
    »Keine Angst«, schimpft er laut. »Ich habe auch keine Lust auf ein Gespräch mit

Weitere Kostenlose Bücher