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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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ganzen Mut zusammen und rief: »Ja, ich bin der Neue, verdammt. Begrüßen Sie alle Neuankömmlinge so feindselig?«
    »Nur wenn sie eine Strumpfmaske tragen«, antwortete der Gruppenleiter.
    So lief der Hase. Man wollte mich gleich zu Beginn brechen. Mich zu einem Jasager machen, mich meiner Individualität berauben. Nur weil ich eine Strumpfmaske trug.
    »Ich möchte nun einmal anonym bleiben«, erwiderte ich freundlich, aber bestimmt.
    »Herr Kunzikoffski, Sie sind hier anonym. Niemand wird irgendetwas von dem, was Sie von sich geben, nach außen tragen.«
    »Das reicht mir aber nicht. Ich möchte gern komplett anonym bleiben. Auch vor den anderen Gruppenmitgliedern. Und tun Sie mir einen Gefallen, Herr Gruppenführer …«
    »Ich heiße Dr. Merck«, korrigierte er mich.
    »… Dr. Merck. Reden Sie mich bitte nicht mit Herr Kunzikoffski an. Das macht es mir unheimlich schwer, anonym zu bleiben.«
    Der Therapeut lächelte verständnisvoll.
    »Na gut. Wie soll ich Sie denn nennen?«
    »Herr Strumpf.«
    »Wie?«
    »Herr Strumpf. Problem damit?«
    Der Therapeut blickte mich eindringlich an, als warte er darauf, dass ich meinen Wunsch jeden Moment als Scherz kenntlich machte, doch als von mir nichts mehr kam, besann er sich.
    »Gut, von mir aus. Und wie sollen die anderen Gruppenmitglieder Sie nennen? Patienten duzen sich in der Regel. Haben Sie einen Vornamen?«
    »Socke. Die können mich Socke nennen. Mein Name ist Socke Strumpf.«
    Max, der rechts neben mir saß, schaltete sich in das Gespräch ein, ein hochgewachsener Mann mit einer seltsamen Frisur. Allerdings empfinde ich jede Frisur als seltsam, das sei hier einschränkend gesagt.
    »Aber wir kennen doch schon alle deinen richtigen Namen. Und dein Gesicht haben wir auch schon gesehen, Klaus.«
    »Socke!«, beharrte ich. Es klang bellend.
    Max erschrak. Meine Stimme war wohl eine Spur zu laut für ihn. Depressive sind schreckhaft. »… Socke«, wiederholte Max leise und sah den Therapeuten hilfesuchend an.
    »Woher willst du denn wissen, dass die Person unter meiner Maske tatsächlich dieser ›Klaus‹ ist? Hm? Hm? Hm?«, fragte ich Max provozierend und blickte ihn herausfordernd an.
    »Wir sitzen beim Essen zusammen. Außerdem hat Dr. Merck gerade deinen Namen genannt, und du hast nicht widersprochen.«
    Wutschnaubend zog ich die Strumpfmaske ab und warf sie wütend auf den Boden. Dann drohte ich Dr. Merck, ihn wegen Verletzung der Schweigepflicht zu verklagen.
    »In der Gruppentherapie den Namen eines Patienten zu nennen fällt nicht unter die Schweigepflicht, Herr Strumpf«, verteidigte er sich souverän lächelnd.
    »Das lassen wir mal lieber den Richter entscheiden«, gab ich für meine Verhältnisse bemerkenswert cool zurück.
    Dr. Merck entspannte die Situation:
    »Gut, Herr Strumpf …«
    »Jetzt können Sie auch Herr Kunzikoffski sagen. Jetzt ist auch alles egal.«
    »… nun wissen wir alle, wer Sie sind. Wir begrüßen Sie als neues Mitglied in unserer kleinen Runde.« Er wandte sich an die anderen. »Ich würde sagen, Sie stellen sich nacheinander kurz vor.«
    So lernte ich meine Mitstreiter kennen: Max, Versicherungsmakler mit Burn-out. Elvira, Lehrerin mit Angstzuständen. Paul, Feuerwehrmann mit Alkoholproblem. Und natürlich Dr. Merck, der Gruppentherapeut und Leiter unserer kleinen Gemeinschaft. Ich bestand darauf, mich ebenfalls noch einmal vorstellen zu dürfen: »Socke Strumpf, the patient formerly known as Herr Kunzikoffski, but now again known as Kunzikoffski . Und weshalb ich hier bin, sage ich nicht. Wenigstens das soll geheim bleiben.«
    Dr. Merck machte Anstalten, mir etwas zu sagen, winkte aber schließlich resigniert ab. Er rückte auf seinem Stuhl nach vorn und schaute zu Boden.
    »Gut. Dann gehen wir nun alle ein paar Minuten lang in uns und fühlen, wie es uns heute geht. Herr Kunzikoffski, für Sie zur Erklärung: Wir machen jetzt die sogenannte Befindlichkeitsrunde. Sie versuchen in sich hineinzuspüren, was Sie gerade empfinden, und fassen das anschließend in Worte«, erklärte er. Drei Minuten später fügte er hinzu: »Und wir summen dabei keine Schlager.« Ich beendete »Santa Maria«.
    »Wer möchte heute anfangen?« Sein Blick scannte die Patienten ab.
    Elvira meldete sich: »Ich würde gern da weitermachen, wo ich gestern aufgehört habe.«
    »Gern; wenn niemand in der Gruppe etwas dagegen hat?« Dr. Merck blickte uns fragend an.
    »War es denn eine gute Geschichte?«, fragte ich.
    »Was heißt ›gut‹?«,

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