Entschuldigen Sie Meine Stoerung
Leben füllen, mich also leopardenhaft verhalten. Nicht dass man mich am Ende »Giraffe« oder »Gnu« nennt. Den Namen »Leopard« erwirbt man sich nicht, indem man sich entsprechend vorstellt: »Guten Tag, mein Name ist Jan-Uwe Fitz, aber Sie können mich ›Leopard‹ nennen.« Sondern weil Charakter und Körpersprache etwas Wildkatzenhaftes haben. Nur wenn ich mich benehme wie ein Leopard, wird man mich auch so nennen.
Wie aber benimmt sich ein Leopard? Und welche Eigenschaften kann ich mir glaubhaft aneignen, ohne dass es albern wirkt?
Der Blick in Was ist was – Wilde Tiere verrät: Leoparden bewohnen riesige Reviere. Und zwar einzeln. Sie dulden keine Rivalen, sondern schlagen Artgenossen, die sich in ihrem Revier aufhalten, in die Flucht. Für mich im Prinzip kein Problem. Ich war immer gut darin, allein zu sein. Je weiter der nächste Artgenosse von mir entfernt ist, desto wohler fühle ich mich. Wenngleich »ein paar Quadratkilometer« ohne Artgenossen, wie sie das Buch vorschreibt, einen gewissen Aufwand erfordern. Vor allem wenn man wie ich in einer privaten Nervenklinik wohnt. Da hat es mein Namensvorbild leichter: Es durchstreift sein Revier in Afrika, einem Kontinent, der ausreichend Platz bietet, um ganz Leopard zu sein. In Afrika kann sogar ein Nashorn Leopard genannt werden. Das ist gar kein Problem. Hm, »durchstreifen« klingt allerdings auch nicht verlockend. Ich würde in meinem Revier lieber rumliegen. Aber Kompromisse müssen vielleicht sein.
Mir bleiben zwei Alternativen: Erstens: An einen Ort mit weniger Menschen ziehen, mir ein Revier suchen, in dem mir keine Artgenossen so dicht auf die Pelle rücken wie in der Klinik. Oder die anderen Patienten in die Flucht schlagen – um mir auf diese Art und Weise ein Revier von mehreren Quadratkilometern zu schaffen. In dem ich dann einsam herumliegen kann.
Gedacht, getan. Ich klopfe bei meinem Zimmernachbarn rechts, um ihn in die Flucht zu schlagen. Vielleicht reicht schon ein Knurren. Gerade rechtzeitig besinne ich mich, dass Katzen fauchen. Leoparden also auch. Mein Gott, war das knapp. Hätte ich an der Zimmertür meines Nachbarn geknurrt statt gefaucht, hätte ich mir meinen Spitznamen gleich in die Haare schmieren können. Also, ins Fell (auch auf die richtigen Metaphern würde ich in Zukunft achten müssen).
Mein Nachbar ist ein sympathischer junger Mann. Leider auch ein kräftiger. Deshalb entschließe ich mich, ihn zunächst freundlich zu bitten, schnell die Klinik zu verlassen, und ihn nicht gleich zu einem Kampf auf Leben und Tod herauszufordern:
»Guten Tag, Fitz mein Name, von nebenan«, stelle ich mich vor. »Verlassen Sie bitte die Klinik.«
»Was?«
»Ich bin ein Leopard, ich brauche die Einsamkeit. Und Sie befinden sich in meinem Revier.«
»Sie gehen jetzt besser.«
»Na gut, Sie haben es ja so gewollt.«
Ich fauche ihn bedrohlich an, verschlucke mich dabei und schließe mit einem üblen Husten. Mein Nachbar zeigt sich unbeeindruckt. Ich lege nach:
»Sind Sie taub? Chhhhhhhhhhhhhhhh!« Diesmal klingt es glasklar. Ich sehe ihn gespannt an. Wie wird er reagieren? Erkenne ich da Angst in seinen Augen?
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, Herr Fitz«, sagt er leicht verärgert.
»Diese Klinik ist zu klein für uns zwei. Ich bin ein Leopard und brauche die Weite. Würden Sie bitte mein Revier verlassen?« Ich blicke ihn herausfordernd an. Dann fällt mir ein, dass ich vergessen habe zu fauchen. Ich hole es nach.
Sie bewundern mich sicher für meinen Mut, lieber Leser. Ich gestehe aber, dass ich mich in dieser Situation nicht sonderlich wohlfühle. Meine Körpersprache wirkt zwar auf das Äußerste entschlossen, aber tief in mir tobt ein Sturm der Unsicherheit. Ich bin mir der Gefahr, in der ich mich befinde, voll bewusst: Mein Nachbar wird entweder seine sieben Sachen packen und verschreckt sein Zimmer und die Klinik verlassen – oder er nimmt den Kampf auf Leben und Tod an. Mir wäre die erste Alternative lieber, denn seine Oberarme verheißen Schmerzen. Ich hingegen: ein untrainierter Medikamentenabhängiger, hin und wieder auf Entzug. Mit Bauchansatz. Aber ich habe zwei Trümpfe: meine Entschlossenheit und das Überraschungsmoment. Gut, das Überraschungsmoment ist mittlerweile verpufft. Dazu stehen wir uns schon zu lange gegenüber. Ich fauchend, er … nun ja, irritiert. Also bleibt noch meine Entschlossenheit.
Plötzlich zucken seine Mundwinkel. Tränen strömen über sein Gesicht. Dann setzt er zu einem
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