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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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wenn deine Jäger in die Wohnung eindringen. Schließlich weißt du aus leidvoller Erfahrung, wie verräterisch sich deine Brustwarzen auf dem Stoff abzeichnen. Und einen Auftragskiller täuschst du nicht so leicht wie eine Depressive. Die Welt mag sich ändern. Brustwarzen bleiben verräterisch.
    In einer solchen Lebensphase, in der dein Leben am seidenen Faden hängt, in der du mit einem Bein im Grab stehst, denkst du an alte Zeiten und stellst dir viele Fragen. Hättest du einen anderen Beruf ergreifen sollen? Hättest du überhaupt einen Beruf ergreifen sollen? Dann bereust du, dass du nie versucht hast, deinen großen Traum zu verwirklichen: Stadtmarketer. Schon als kleiner Junge wolltest du Städte, Dörfer und Regionen für Touristen attraktiv machen. Das konntest du wie kein Zweiter. Du warst der Mozart des Stadtmarketings. Der Picasso. Oder besser der Dalí. Dein Stadtmarketing trat schon früh in seine surrealistische Phase ein.
    Bereits als Dreijähriger entwarfst du Konzepte für dein Playmobil-Jagdschloss. Deine genialen Ideen sorgten weit über das Kinderzimmer hinaus für Furore und brachten schon bald die ersten Busladungen japanischer Touristen in die Zweizimmerwohnung deiner Eltern. Fotos von Asiaten vor deinem Playmobil-Schloss waren damals in Japan wertvolle Statussymbole. Zwar mussten sich die Japaner bücken und sich seitlich in das Bild hängen, damit auch das Schloss noch auf das Foto passte, aber das war ihnen das Foto wert.
    In dieser Zeit florierte auch der Merchandising-Handel: Die Ohropaxe deines Großvaters fanden reißenden Absatz, und er kam mit dem Benutzen kaum nach.
    Aber wie das häufig so ist bei Wunderkindern: Deine Eltern hatten kein Verständnis für deine Leidenschaft. Mutter und Vater klagten nur ständig, dass die japanischen Besucher die Sicht auf den Fernseher verdeckten. Und zum Stadtmarketingunterricht wollten sie dich auch nie fahren.
    Jahrelang hast du intensiv Stadtmarketing studiert. Hast gelernt, dass die Ursprünge auf Nomadenvölker im Norden Afrikas zurückgehen, deren Ziel es war, den Ort, an dem sie gerade rasteten, für Touristen attraktiver zu machen. Um sich so Devisen zu sichern. Die Nomaden bedienten sich für ihre PR eines Tricks, der später noch in anderen Bereichen große Erfolge feiern sollte: Sie schickten drei Hirten in die Welt, die jedem, dem sie begegneten, von dem Nomadenlager erzählten: »Hier, super Ort. Total nett da.« Und tatsächlich strömten bald interessierte Touristen an den gelobten Ort. Doch da waren die Nomadenvölker bereits weitergezogen. Ihre Begründung hinterließen sie später in Reimform:
    Wir sind Nomaden,
    Wir können nicht ewig waden.
    Jahrzehntelang musstest du mit ansehen, wie schematisch und wenig originell die Städte bei ihrer Selbstvermarktung vorgingen. Wie völlig unbekannte Söhne oder Töchter der Stadt hervorgekramt und als Weltstars angepriesen wurden, und ließ sich auf Teufel komm raus niemand finden, hieß es einfach: »Jahaaa, aber Goethe war wohl auch schon einmal hier.«
    Oder man tackert ein Broschürchen über die Historie des Ortes zusammen, stellt irgendwo ein Riesenrad und eine Hüpfburg auf oder stampft einen Fußballclub aus dem Boden. Und schon heißt es: »Hey, Gäste. Kommt her. Super hier. Alles.«
    Du aber gingst in deinem Heimatdorf Nawowohl völlig neue Wege. Zum Beispiel mit der Aktion Bürger klauen Venedig . Zu diesem Zweck bist du mit den Einwohnern deines Dorfes wieder und wieder nach Venedig gereist und hast heimlich Teile der Lagunenstadt geklaut. Die habt ihr dann in die Lüneburger Heide geschmuggelt und dort Venedig neu aufgebaut. Was war das für ein Fest, als der erste Stein einer venezianischen Villa bei euch eintraf. Hubert Brutz, Taxifahrer aus eurem Dorf, hatte ihn heimlich aus einem Gebäude gemeißelt und unschuldig pfeifend aus der Stadt herausgeschmuggelt.
    Eine weitere Einheit viel bescholtener Bürger hatte sich parallel mit dem Diebstahl des Canal Grande beschäftigt und dessen Wasser in kleinen Eimern und Förmchen abgeschöpft. Dann reisten sie zurück in dein Heimatdorf, wo der weltberühmte Kanal kurzerhand neu angelegt wurde. Das Flussbett war schnell ausgehoben.
    Natürlich hat sich ein Komitee frühzeitig mit der Namensfindung eures Kanals beschäftigt. Schließlich konntet ihr ihn schlecht Canal Grande nennen, das wäre zu auffällig gewesen. Die Venezianer hätten den Braten doch gerochen, wenn ihr Fluss plötzlich nicht mehr durch ihre Stadt, sondern durch

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