ENTSEELT
versucht hat, dich umzubringen. Und ich wäre Zeugin geworden, als s ie ihn attackiert haben!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich das ertragen hätte ... Ich hätte den Anblick dieser Dinger nicht ertragen.«
Er griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. »Es sind keine Dinger. Das waren einmal lebendige Menschen. Und jetzt sind sie tote Menschen. Genau genommen hat der größte Teil des Bodens und des Landes und des Himmels und der See zum einen oder anderen Zeitpunkt einmal gelebt. Das ist die Natur der Dinge, und das Leben ist nur eine Phase, die wir durchlaufen. Aber die Toten halten mich für wichtig genug, um die natürliche Ordnung der Dinge zu durchbrechen.«
»Und dieses Durchbrechen der natürlichen Ordnung macht aus ihnen etwas Übernatürliches?«, meldete sich Darcy zu Wort.
»So könnte man es sagen.« Harry wandte sich wieder zu ihm. »Haben wir nicht auch einst die Vampire für übernatürlich gehalten?« Und jetzt erlaubte er sich ein echtes Lächeln, wenn auch nur ein dünnes. »Weißt du, Darcy, dafür, dass du der Chef des E-Dezernats bist, bist du verdammt skeptisch. Ich meine, darum ging es doch von Anfang an: Apparate und Geister. Die Kombination der physikalischen und der metaphysischen Ebene, des Natürlichen und des Übernatürlichen.«
»Ich bin kein Skeptiker«, erklärte Darcy. »Dazu habe ich schon zu viel gesehen. Es geht nur darum, dass ich mir gern Klarheit über die Dinge verschaffe, das ist alles.«
»Und, habe ich dir jetzt zu ein wenig mehr Klarheit verholfen?«
»Ich schätze schon. Also ... was machen wir jetzt?«
»Wir machen gar nichts. Wir tragen zusammen, was wir wissen, und wir stellen Hypothesen über das auf, was wir nicht wissen. Und wir versuchen, uns auf das vorzubereiten, was auf uns zukommt. Aber ehrlich gesagt, wenn ich einer von euch beiden wäre, dann würde ich einfach machen, dass ich wegkomme.«
»Wie bitte?« Darcy war sich nicht sicher, ob er das richtig verstanden hatte.
»Du und Sandra. Ihr solltet in das nächste Flugzeug nach Hause steigen, zum E-Dezernat zurückkehren und versuchen, die Möglichkeiten zu nutzen, die euch dort zur Verfügung stehen. Wir sollten es so machen, wie damals bei Bodescu: Ganz diskret vorgehen, bis wir wirklich wissen, womit wir es zu tun haben.«
Darcy schüttelte den Kopf. »Wir stecken alle in diesem Schlamassel. Ich kann das Dezernat auch von hier aus auf Trab bringen. Und vielleicht sollte ich dich besser daran erinnern, ich gerate für gewöhnlich nicht in Gefahr. Mein Schutzengel, weißt du noch? Und außerdem, was kannst du allein schon ausrichten? Sandra hat recht, Harry. Du bist ein Ex-Necroscope. Du verfügst nicht mehr über deine Fähigkeiten. Wenn paranormale Fähigkeiten gefordert sind, dann zählst du nicht mehr. Und wie du selbst gesagt hast, was in Bonnyrigg passiert ist, war reiner Zufall. Die Toten werden dir nicht jedes Mal helfen können. Also sollten wir der Tatsache ins Auge sehen: Von uns dreien bist du der Schwächste. Es ist nicht so, dass du uns nicht brauchen würdest, sondern eher so, dass wir dich nicht brauchen.«
Harry sah ihn scharf an. »Du brauchst meine Erfahrung«, sagte er. »Und ich habe bereits auf die mögliche Gefahr für Sandra hingewiesen. Sie sollte nicht in meiner Nähe sein und ...« Unvermittelt verstummte er. Aber es war zu spät, der Schaden war bereits angerichtet. Er war nie besonders diplomatisch gewesen.
»In deiner Nähe? Was soll das heißen, Harry?« Diesmal war es an ihr, seine Hand zu halten.
Er seufzte und wandte den Blick ab. Schließlich sprach er doch: »Wir haben es hier mit einem Vampir zu tun. Vielleicht einem der alten Rasse, auf jeden Fall mit einem, der nicht weit entfernt vom Original, den Wamphyri selbst, ist. Und wie ich immer wieder sage, auch wenn niemand auf mich hört: Die Wamphyri haben ihre Fähigkeiten! Sandra, du hast in Trevors Kopf gesehen, und da war dieses Ding, das ihn folterte und ausfragte – in erster Linie nach uns! Wahrscheinlich weiß er mittlerweile alles, was es über das E-Dezernat zu wissen gibt und was wir mit Thibor Ferenczys Hinterlassenschaft gemacht haben und mit Yulian Bodescu und ... verdammt, alles, was er wissen will! Aber vor allem weiß er von mir! Wenn nicht jetzt, dann in Kürze. Und dann wird er hinter mir her sein. Er muss das tun, denn er weiß, dass es jemanden gibt, der über ihn Bescheid weiß. Ich bin Harry Keogh, der Necroscope, und ich bin eine Gefahr für ihn. Ich habe
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