ENTSEELT
Abgasen ihrer dröhnenden Aufpuffrohre und walzten kleine, über Jahrhunderte gewachsene Bauernsiedlungen nieder, um daraus ebene, schlammige Flächen zu machen. Währenddessen standen andere Maschinen wartend oder nutzlos neben großen Baggern, deren Schaufeln erhoben und ausgestreckt waren, als würden sie den Fortschritt beobachten. Wo einst Dörfer gestanden hatten, sah man jetzt nur noch Erde und Schutt und Ödnis.
»Es gab mal mehr als zehntausend Dörfer in Rumänien«, murmelte der Fahrer, der vielleicht spürte, dass Harry noch wach war, aus dem Mundwinkel heraus. »Aber der alte Nicolae meint, das sind mindestens fünftausend zu viel. Was für ein Irrer! Der würde sogar die Berge platt walzen, wenn ihm jemand sagen würde, wie er das anstellen kann!«
Harry antwortete nicht und tat weiter, als schliefe er, aber im Stillen fragte er sich: Und was ist mir Faethors Haus am Stadtrand von Ploiesti? Will Ceausescu das auch einebnen? Hat er das vielleicht sogar schon getan?
Wenn dem so wäre, wie sollte Harry es dann wiederfinden? Das letzte Mal war er mithilfe des Möbius-Kontinuums dorthin gelangt, und er hatte sich dabei an Faethors telepathischer Stimme orientiert. Oder eigentlich an seiner Totenstimme, denn Harry konnte nur mit den Toten auf diese Art reden; er war kein richtiger Telepath. Faethor hatte mit ihm gesprochen, und Harry war dem Klang gefolgt. Jetzt sah das anders aus, er würde Faethors Ruhestätte erst dann sicher erkennen, wenn er dort angelangt war. Und über den Ort wusste er nur, dass die Vögel dort nicht sangen und die Bäume und Sträucher nicht blühten und keine Früchte trugen. Denn die Bienen blieben von der Stelle fern. Der ganze Ort war Faethors Grabstein, und die Inschrift wirklich eindeutig:
Diese Kreatur war der Tod!
Seine ganze Existenz war eine Leugnung alles Lebendigen.
Daher liegt er jetzt hier,
und das Leben selbst verleugnet ihn.
Als das Taxi an einem Straßenschild vorbeikam, demzufolge Ploiesti zehn Kilometer vor ihnen lag, streckte Harry sich, gähnte, und tat, als wachte er auf. Er warf dem Fahrer einen Blick zu.
»Es hat da früher ein paar alte Herrenhäuser am Stadtrand von Ploiesti gegeben. Die Häuser der alten Aristokraten. Wissen Sie, was ich meine?«
»Alte Häuser?« Der Mann blinzelte verständnislos. »Aristokraten?«
»Dann kam der Krieg, und die Häuser wurden zerbombt. Es blieb nicht mehr übrig als ein Haufen Schutt. Die Behörden haben die ganze Gegend nie angerührt, man hat das alles als eine Art Mahnmal liegen gelassen – jedenfalls war das bis vor ein paar Jahren so.«
»Ach, das kenne ich. Aber das ist nicht an dieser Straße. Das ist an der alten Straße, da wo sie einen Bogen macht. Wollen Sie dahin? Dann müssen Sie das schnell sagen!«
»Ja, da will ich hin. Jemand, den ich kenne, hat da einmal gewohnt.«
»Er hat da gewohnt?«
»Er wohnt da noch, soviel ich weiß«, verbesserte Harry sich.
»Achtung!«, sagte der Fahrer und riss das Lenkrad heftig nach rechts herum. Sie holperten auf einen Weg aus Kopfsteinpflaster, der beschattet von gewaltigen Kastanien von der Straße abzweigte.
»Das ist da drüben. Noch eine Minute und wir wären daran vorbei gewesen, dann hätte ich umdrehen und zurückfahren müssen. Alte Häuser, ja, die Herrenhäuser der alten Familien. Ich kenne die. Aber Sie sind gerade noch zur rechten Zeit gekommen. Nächstes Jahr um diese Zeit ist das alles weg. Ihr Freund auch. Sie walzen sie einfach nieder, diese alten Häuser, und wer da lebt, zieht entweder aus oder wird mit den Häusern zusammen platt gewalzt. Es dauert nicht mehr lange, und die Bulldozer sind da, warten Sie nur ab.«
Sie hatten jetzt beinahe einen Kilometer auf der uralten Straße zurückgelegt, und Harry wurde klar, dass er hier richtig war. Die Umrisse alter Gebäude erhoben sich rechts und links hinter den Kastanien, die meisten davon ziemlich verfallen, aber bei einigen rauchten noch die Schornsteine. »Sie können mich hier absetzen.«
Als er aus dem Taxi gestiegen war und nach seiner Reisetasche griff, fragte er: »Wie steht es hier mit Bussen? Ich meine, wenn ich heute Nacht bei meinem Freund bleibe, wie komme ich dann morgen früh wieder in die Stadt zurück?«
»Sie müssen einfach zur Hauptstraße zurückgehen, der Straße nach Bukarest«, erklärte der Fahrer. »Da gehen Sie dann rechts und einfach geradeaus. Alle paar hundert Meter ist eine Bushaltestelle. Sie können die gar nicht verfehlen. Aber noch ein Tipp: Laufen Sie
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