ENTSEELT
einen LKW geraten war.
Harrys Gedanken waren hier so gut wie laut gesprochene Worte. »Ich bin zerschmettert worden, Harry!« Layard sah auf und sprach in die leere Luft hinein. »Auf Karpathos, in einem Augenblick, als Janos abgelenkt war, habe ich versucht, ihn mit einem scharfkantigen Stück Treibholz zu töten. Er rief seine Leute von der Lazarus zusammen, und sie haben mich gefesselt auf dem Strand angebunden. Dann sind sie auf die Klippen hochgestiegen und haben Felsbrocken auf mich heruntergeworfen. Sie hörten erst auf, als ich unter Steinen begraben war und fast alle meiner Knochen gebrochen waren. Das Vampirzeug in mir heilt mich gerade, aber ich werde nie wieder so sein wie früher.«
Harrys Mitleid erwachte und drohte ihn zu übermannen, aber er zwang es in den Hintergrund. »Warum habt ihr mich hierher zitiert? Um mir einen Rat zu geben oder um mich durch Gewissensbissen und Mitleid und der Angst, dass es mir genauso gehen könnte, zu schwächen? Seid ihr noch ihr selbst, oder gehört ihr ihm jetzt ganz und gar?«
Layard antwortete: »Im Augenblick sind wir wir selbst. Wie lange das anhält ... wer kann das sagen? Bis er wiederkommt. Die Veränderung schreitet fort und lässt sich nicht rückgängig machen. Es stimmt, Harry, wir sind Vampire. Wir wollen dir helfen, aber die dunkle Masse in uns stellt sich dem entgegen.«
»Wir kommen nicht voran«, sagte Harry.
»Sag nur ein Mal, dass du mich geliebt hast!«, flehte Sandra.
»Ich habe dich geliebt«, erklärte Harry.
»Lügner!«, fauchte sie ihm entgegen.
Harry fühlte sich hin und her gerissen. »Ich kann nicht lieben«, sagte er mit einer gewissen Verzweiflung, und zum ersten Mal in seinem Leben wurde ihm klar, dass das wahrscheinlich stimmte. Vielleicht konnte er das früher, aber jetzt nicht mehr. Manolis Papastamos hatte doch recht gehabt: Er war eiskalt.
Sandra sackte in sich zusammen. »In dir ist keine Liebe«, klagte sie. »Warum sollten wir dir helfen, uns zu töten?«
»Darum geht es doch gerade«, sagte Layard. »Ist es nicht das, was wir wollen? Solange wir noch eine Wahl haben?«
»Ist es das? Ist es das wirklich?« Sie umklammerte eine seiner gebrochenen Hände. Und dann wandte sie sich an Harry: »Ich dachte, ich würde nicht weiterleben wollen, nicht so. Aber jetzt weiß ich das nicht mehr. Ich weiß es nicht, Harry. Janos hat ... er hat sich meiner bedient. Und er tut es noch! Es gibt keine Öffnung in meinem Körper, in die er nicht eingedrungen ist! Ich verabscheue ihn, aber trotzdem will ich ihn auch! Und das ist das Schlimmste – ein Monster zu begehren. Aber Begierde ist auch ein Teil des Lebens, und ich habe das Leben immer geliebt. Also was ist, wenn du ihn besiegst? Wirst du mit mir dann so verfahren wie mit Lady Karen?«
»Nein!« Der Gedanke stieß ihn ab. »Ich könnte so etwas nicht noch einmal tun. Ich könnte es dir nicht antun und auch niemand anderem, nie wieder. Wenn ich gewinne, dann werde ich es dir so leicht machen, wie ich kann.«
»Nur, dass du nicht gewinnen kannst!«, jammerte Layard. »Ich wünschte wirklich, dass du eine Chance hättest!«
»Aber die hat er vielleicht!« Sandra sprang auf. »Vielleicht irrt sich Janos!«
»Worin?« Harry hatte das Gefühl, er habe jetzt die Blockade durchbrochen, und das Gespräch führe doch noch zu etwas. »Vielleicht irrt er womit?«
»Er hat in die Zukunft gesehen«, sagte Sandra. »Das ist eine seiner Fähigkeiten. Er hat die Zukunft gesehen und darin seinen Sieg.«
»Was hat er gesehen? Was genau?«
»Er hat gesehen, dass du kommst, und dass es Feuer und Tod und Donner geben wird, der sogar die Toten wieder aufweckt. Die Lebenden und die Toten und die Untoten werden alle darin verwickelt sein; ein Chaos mit nur einem Überlebenden, dem schrecklichsten, dem mächtigsten aller Vampire. Und nicht nur ein Vampir, sondern ... ein Wamphyri!«
»Ein Paradox«, wimmerte Layard. »Und jetzt kennst du auch den Grund, warum du nicht kommen darfst!«
Harry nickte, wenn auch nur für sich selbst. »Das ist immer so, wenn man in die Zukunft blickt.«
Dann flog plötzlich die schwere Tür des Kerkers auf, und dort stand Janos, teuflisch gut aussehend und böse wie die Hölle, deren Feuer in seinen Augen brannte. Bevor die Szenerie sich ganz auflöste und in Dunkelheit verblasste, hörte Harry ihn sagen: »Na also, wenn man euch genug Seil lässt, dann hängt ihr euch auf. Ich wusste, ihr würdet versuchen, mit ihm in Verbindung zu treten. Nun, was ihr für euch
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