ENTSEELT
sich allmählich, bis sie zwischen zweieinhalb und drei Meter hoch war.
Dumitru stand jetzt in einem schmalen, unscheinbaren Gang, der gerade mal einen Meter breit war, dessen Länge sich jedoch nicht überblicken ließ. Ihn überkam eine unaussprechliche Furcht, die ihn zusammengekauert anhalten ließ. Er zitterte, und kalter Schweiß brach ihm aus; sein Herz flatterte in seiner Brust wie ein eingesperrter Vogel, und der Angstschweiß klebte seine Kleidung auf seinem Rücken und an seinen Schenkeln fest. Der Junge streckte seine Fackel vor sich aus. Vor ihm in den Schatten, da wo das Licht nur noch ganz schwach hinfiel, schwebte ein Paar dreieckiger gelber Augen – wilde Wolfsaugen – knapp über dem Boden und reflektierte das Flackern der Fackel. Die Augen starrten Dumitru an.
Das ist ein alter Freund von mir, Dumiiiitruuu. Die Stimme von Janos Ferenczy saugte sich in seinen Verstand wie kalter Schleim. Genau wie die Szgany haben er und seine Sippe mir über lange Jahre hinweg die Treue gehalten. Wenn diese meine Freunde nicht wären, könnten ja alle möglichen neugierigen Leute hierherkommen. Er hat dich doch nicht erschreckt, oder? Du hast gedacht, er sei da unten hinter dir zurückgeblieben? Aber ist dir nicht klar, dass das hier mein letzter Zufluchtsort ist? Und was wäre das denn für ein Rückzugsort, wenn es nur einen Ein- und Ausgang gäbe? Nein, wenn man diesem Pfad lange genug folgt, kommt man zu einem Loch in der nackten Felswand. Aber so weit musst du nicht gehen.
Die Stimme versuchte gar nicht mehr, die Drohung zu verschleiern. Der Ferenczy würde sich sein Opfer jetzt nicht mehr nehmen lassen; sein Griff um Dumitrus Verstand und Willen war zu einem Schraubstock aus Eis geworden.
Weiter, befahl er kalt.
Vor dem Jungen drehte sich der gewaltige Wolf um und sprang voran, ein grauer Schatten, der mit der Dunkelheit verschmolz. Dumitru folgte mit unsicheren Schritten und klopfendem Herzen, bis er meinte, das Blut in seinen Ohren rauschen zu hören, wie den Ozean in den Tiefen einer Muschel. Und er war nicht der Einzige, der das hörte.
Ja, mein Sohn, mein Sohn! Die Stimme war ein Gurgeln monströser Vorfreude, ungebändigter Lust. Dein Herz springt in dir wie ein Hirsch, den der Todesstoß getroffen hat! Diese Stärke, diese Jugend! Ich kann es fühlen! Aber was es auch ist, das diese Panik in dir ausgelöst hat, du kannst beruhigt sein, es ist fast vorbei, Dumiiitruuu ...
Der Gang verbreiterte sich; links neben Dumitru verlief die Wand weiter wie zuvor, aber rechts war eine Vertiefung zu sehen, die parallel zu seinem Weg verlief, ein Graben, der in den nackten Felsen gehauen war und mit jedem Schritt voran tiefer wurde. Der junge Mann hielt seine Fackel über diesen Graben und sah hinab. An der tiefsten Stelle des Grabens erblickte er den Rand und den schmalen Hals einer schwarzen Urne, die zur Hälfte in der dunklen Erde begraben war.
Der Rand dieser Urne – ein dunkler, schmollender Mund mit Lippen, die sich im flackernden Licht obszön zu öffnen und zu schließen schienen – befand sich ungefähr anderthalb Meter unter dem Sims, auf dem Dumitru stand. Hinter der Urne war der Graben plötzlich höher. Er bildete ein V, wie ein Ausguss, und endete in einer schmalen Tülle direkt über der Urnenöffnung. Auf der anderen Seite stieg die V-förmige Fläche weiter an und verschwand in den Schatten. Der steinerne Vorsprung über der Urne ähnelte verblüffend dem Abfluss einer Regenrinne über einer Wassertonne. Und wie eine Regenrinne schien er auch schwarz verfärbt durch irgendeine unbestimmbare Flüssigkeit.
Einige lange Augenblicke stand Dumitru zitternd da und keuchte. Er verstand nicht, was er da vor sich sah, aber er wusste mit jeder Faser seines Seins, dass diese Anordnung die absolute Verkörperung des Bösen darstellte. Und während an seinem Körper erneut der kalte, klebrige Schweiß ausbrach und er von Zitterkrämpfen geschüttelt wurde, drängte sich die Stimme seines Peinigers wieder in seinen Verstand. Geh weiter, mein Sohn. Noch ein oder zwei Schritte, Dumiiitruuu, und dir wird alles klar werden. Aber sei vorsichtig, ganz vorsichtig, damit du nicht ohnmächtig wirst und von dem Sims fällst!
Zwei Schritte weiter, in denen die schreckensstarren Augen des Jungen nicht einmal von der entsetzlichen Urne gewichen waren, nicht einen Atemzug lang, dann erreichte er die Stelle, wo der Graben endete: ein schwarzes Rechteck, wie ein offenes Grab. Und als das Licht seiner Fackel
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