ENTWEIHT
Bootshöhle gerannt. Doch je größer die Distanz zwischen ihm und jener zischenden Stange Dynamit wurde, desto mehr dämmerte ihm, dass hier etwas nicht stimmte! Die Zündschnur musste erloschen oder das Dynamit schadhaft sein oder etwas in dieser Art. Doch mittlerweile war es zu spät und viel zu gefährlich, umzukehren. Schade, denn obwohl sein Überleben für ihn wie stets an allererster Stelle stand, hatte der Große Vampir sich entschlossen, nicht bloß Vavaras Garten zu vernichten, sondern auch dem E-Dezernat und dessen Mitgliedern so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Er konnte nur hoffen, dass Schwester Anna mehr Glück gehabt hatte.
In der geheimen Meereshöhle hatte Malinari gewartet, bis er die ersten Detonationen vernahm, ehe er sich an die Arbeit mit dem Boot machte. Er ging davon aus, dass die Verwirrung über der Erde am Palataki, fast 150 Meter vom Meer entfernt, dazu beitragen würde, sein Tun zu verbergen. Wenn die Agenten des E-Dezernats glaubten, er säße irgendwo tief unter ihnen in der Falle, wären sie bestimmt viel zu beschäftigt, um ihre Gedanken auf der Suche nach ihm schweifen zu lassen. Und bei all dem Lärm und dem Aufruhr wären sie mit ihren Talenten ohnehin im Nachteil. Außerdem wollte er seine Präsenz im Zaum halten, seine Gedanken abschirmen und seine Aura so weit dämpfen, wie es nur Malinari das Hirn vermochte. Keine Menschenseele würde das Tuckern seines Außenbordmotors hören, während er über das ruhige, nachtfinstere Meer floh … und wenn, würden sie annehmen, es sei eines der Handvoll kleiner Fischerboote, deren Positionslichter zwischen Küste und Horizont auf und ab hüpften. Sein Boot hingegen würde auf jeden Fall ohne Licht auskommen.
Als nun weitere, verheerendere Explosionen, diesmal von der Oberfläche, jenseits der Kante der Meeresklippen laut wurden, ließ Malinari endlich das Boot zu Wasser und kletterte an Bord. Mithilfe eines kurzen Paddels richtete er den Bug aufs offene Meer aus, trat ans Heck, setzte sich, nahm das Ruder und machte Anstalten, den Motor anzuwerfen.
Und dann kam sie!
Sie kam von Osten. Hand um Hand vorwärts setzend, klammerte sie sich an die Felswand, um nicht in den feuchten Kies zu stürzen. Als sie das finster daliegende Meer ein gutes Stück weit hinter sich gelassen hatte, sprang sie. Erst als Vavara mit den Füßen auf dem Strand aufkam, hörte Malinari sie. Er hatte sich so sehr darauf konzentriert, seine Gedanken vor Fremden abzuschirmen, dass er die ihren nicht bemerkt hatte. Im nächsten Augenblick überquerte sie in weiten Sätzen den Strand, watete durchs Wasser und schon war sie im Bug des Kaiki. In ihren Augen loderten alle Feuer der Hölle. Anklagend deutete sie, vor Zorn bebend, mit einem knotigen, spitzen Finger auf ihn.
Mit gleichfalls spitzer Zunge fauchte sie: »Oh, du verräterischer Hund! Doch welcher Hund beißt die Hand, die ihn füttert? Nein, Lord Nephran Malinari ist noch viel heimtückischer! Ein tollwütiger Hund also – ein großer, grauer Wolf – ähnlich den grauen Brüdern an den Hängen der Grenzberge auf der Sternseite. Doch nein, denn im Gegensatz zu Malinari haben selbst die noch Ehre! Hah! Ich habe jedes Hundevieh beleidigt, indem ich sie im selben Atemzug mit einem wie dir nannte!«
Äußerlich ruhig, innerlich jedoch vor Wut kochend ließ Malinari den Motor an, gab Gas und mit einem Ruck setzte sich das Boot in Bewegung. Während Vavara auf den Hintern plumpste, erklärte er ihr: »Wenn du nicht aufhörst, so mit den Zähnen zu knirschen, werden dir nur noch Stümpfe bleiben.«
Die Schultern gekrümmt, mit Augen, die Schwefel zu sprühen schienen, kam Vavara über den Boden auf ihn zugekrochen. Offenkundig in der Absicht, ihn anzugreifen! »Meine Gnädigste«, sagte er, »was ich getan habe, war lediglich zu deinem Nutzen – zu meinem natürlich ebenfalls. Habe ich etwa nicht bis zum letztmöglichen Augenblick auf dich gewartet, selbst bis zu dem Zeitpunkt, da sie schon anfingen, den Palataki in die Luft zu sprengen?«
»Lügner!«, entgegnete Vavara und kroch weiter auf ihn zu. Malinari sah, wie verheerend sie aussah. »Was ist denn mit dir passiert?«
Er schien wirklich betroffen, und zwar so sehr, dass Vavara überrascht blinzelte und einen Moment innehielt. »Mein Wagen wurde über die Klippen gedrängt; ich wurde herausgeschleudert, ins Meer. Ich schwamm, kletterte, kroch, schwamm und kletterte wieder. Meine Kleider sind in Fetzen, meine Haut ebenfalls, und meine nicht
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