Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
nicht, was sein wahres Wesen geschweige denn seine Beweggründe waren.
„Nenn mir einen Grund, warum ich dir trauen sollte.“
Über Davids Gesicht zuckte ein Mienenspiel, das ich nicht deuten konnte. „Wenn es nach den Regeln meines Volkes geht, habe ich keinen Grund. Ich habe die Order, dich zu töten.“
„Diese Antwort ist wenig hilfreich.“
David schüttelte den Kopf. „Ich weiß selbst nicht, warum ich es nicht tue.“ Wieder dieser intensive Blick aus seinen eisblauen Augen. „Vielleicht weil ich dich schon zu gut kenne.“ Sein Blick wanderte über mein Gesicht. „Wärst du mir unter anderen Umständen begegnet, hätte ich es früher herausbekommen, vielleicht hätte ich nicht gezögert. So aber…“, er stockte und fuhr dann mit einem bezeichnenden Blick in meine Richtung fort, „… so aber hätte ich das Gefühl, ein unschuldiges Kind zu ermorden.“
Anstatt wütend zu werden gab es mir seltsamerweise einen Stich ins Herz, von ihm als Kind bezeichnet zu werden. Als wäre ich ein unreifes Gör und nicht etwa eine erwachsene, wenn auch zugegebener Maßen noch etwas unsichere, junge Frau. Aber was wollte ich mir vormachen? Er hatte mich die ganze Zeit schon wie ein unmündiges, hilfloses Kind behandelt. Ein bockiges Mädchen, das er bemuttert hatte, dem gegenüber er stets den weltgewandten, erfahrenen Mann gemimt hatte, das er nicht für voll genommen hatte. Dennoch enttäuschte mich dieses offene Bekenntnis.
Ich musste den Blick von ihm abwenden, denn ich vermutete, er würde es mir ansehen. „Das klingt, als wärst du dir selbst noch nicht sicher. Dann sollte ich wohl dafür sorgen, schleunigst erwachsen zu werden, bevor du deine Meinung änderst.“ Meine Stimme klang verbittert, irgendwie trostlos, und plötzlich musste ich an Karim denken.
Wir hatten also tatsächlich einiges gemeinsam. Beide auf der Flucht. Heimatlos. Unerwünscht. Ich hätte jetzt dringend eine wärmende Schulter zum Anlehnen gebraucht, doch nach dem, was David eben erzählt hatte, befürchtete ich, dass es diese für mich wohl nie geben würde. Ich war dazu verdammt, alleine zu sein. Ein Sonderling. Abartig. Gesucht, gejagt, schon vor meiner Geburt zum Tode verurteilt. Was für ein beschissenes Schicksal.
„Ich werde meine Me inung nicht ändern, Josephine. Ich biete dir meine Hilfe an. Dabei bleibe ich.“
Ich hob den Blick und sah ihn stumpf an. Er erwiderte meinen Blick mit Ernst in den Augen, aber auch mit e twas anderem, etwas weicherem, das ich unter anderen Umständen wohl als Zuneigung bezeichnet hätte, was bei David aber sicher nicht zur Debatte stand.
Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Mein ganzes Leben war in sich zusammenge fallen und nichts war mehr wie zuvor. Ich müsste eigentlich vor David fliehen, doch wohin sollte ich gehen? Was tun?
Ich war verloren. So also fühlte sich Karim in seinen dunklen Stunden. Hoffnungslosigkeit und Schwere überfielen mich, drückten mich nach unten in ein tiefes Loch. Ich wollte mich nur zu gerne darin verkriechen, nie wieder auftauchen. Alles vergessen.
„Josi! Lass mich dir helfen!“ Davids Stimme klang sanft. Ich bemerkte, dass ich die Augen geschlossen hatte und tief in die Sofaecke gesunken war. Mich kleingemacht hatte. Ich drückte mich noch tiefer in die Sofakissen hinein. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, auch nicht mehr hören. Ich wollte nur noch alleine sein und mein Schicksal betrauern.
„Josi?“ Eine Hand berührte mich an meiner Schulter und ich sprang wie von der Tarantel gestochen auf , machte ein paar Schritte vom Sofa weg und starrte am ganzen Leib zitternd auf David.
„Wage es nie wieder mich zu berühren“, brachte ich mühsam über die Lippen. Es klang nicht bedrohlich, eher flehentlich , und doch schien es seine Wirkung auf David nicht zu verfehlen, denn er zuckte merklich zusammen.
„Ich will dir wirklich helfen “, begann er leise. „Ich weiß, deine Welt stürzt gerade ein und du kannst das alles nicht fassen und es ist ja auch schwer zu begreifen. Wie gesagt, ich kann es selbst kaum glauben. Da sind so viele ungeklärte Fragen, so viele Widersprüche, die wahrscheinlich nie ganz aufzulösen sein werden. Ich kann mir vorstellen, dass das alles gerade sehr viel für dich ist. Du musst das erst mal verarbeiten. Du brauchst Zeit, um alles zu verstehen, damit du entscheiden kannst, wie du damit umgehst.“ Sein Blick wurde wieder ernster. „Aber Josephine, du wirst das nicht alleine bewältigen. Die Geschehnisse der
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