Envy-[Neid]
täuschend liebenswürdig: »Und wie heißt dieses literarische Wunderkind?«
»Ich musste schwören, es geheim zu halten.«
»Treibt er es mit seiner lächerlichen Anonymität nicht ein bisschen zu weit?«
»Dafür gibt es einen Grund. Er ist behindert.«
»Wieso?«
»Noah, darüber kann ich wirklich nicht reden. Ich kann sein Vertrauen nicht missbrauchen.«
»Bist du sicher, dass seine Behinderung deine hohe Meinung von seinem Text nicht beeinflusst hat?«
»Ich habe diesen Text geliebt, bevor ich die näheren Umstände kannte, die im Übrigen seine Begabung in keinster Weise schmälern. Er wäre so und so talentiert. Trotz aller Schwierigkeiten, die das Arbeiten mit ihm mit sich bringt, genieße ich sie. Es wird mir gut tun. Jedenfalls werde ich mal wieder ein paar Lektorenmuskeln spielen lassen können. Während der letzten Jahre bin ich faul und fett geworden.«
»Vielleicht ein bisschen faul, aber nicht fett.«
Seine Hand wanderte über ihren Po. Diese Liebkosung mochte sie, und sie reagierte normalerweise dementsprechend darauf. Diesmal wirkte sie weitaus weniger. »Noah, das war rein metaphorisch gemeint.«
»Das weiß ich doch. Trotzdem…« Er beugte sich hinunter und küsste sie, zuerst auf die Wangen, dann auf den Mund. Er wollte sicher sein, dass ihr Gefühlsausbruch nicht ernstere Gründe hatte, insbesondere Zweifel an seiner Loyalität zu Matherly Press.
Sie erwiderte den Kuss, wenn vielleicht auch nicht mit der gewünschten Inbrunst. Aber als er sich zurückzog, lächelte sie zu ihm hoch und zerstreute seine Besorgnis.
»Wenn mich nicht diese Finanzgeschichten in Anspruch nähmen«, knurrte er, »wäre ich versucht, die Tür zu versperren und dich auf der Stelle zu nehmen.«
»Warum sagst du nicht ›Zum Teufel mit dem Finanzkram‹ und tust genau das? Ich ließe mich schon nehmen.«
Nach einem erneuten Kuss schob er sie entschlossen von sich. »Eine echte Versuchung, mein Schatz, aber die Pflicht ruft.«
»Verstehe.«
»Heute Abend? Nach dem Essen bei Daniel?«
»Du hast ein Rendezvous.« Nach einem raschen Kuss nahm sie Regenmantel und Handtasche an sich.
»Vielleicht bleibe ich länger und versuche, meinen Schreibtisch aufzuräumen. Deshalb werde ich mich wahrscheinlich vor dem Abendessen nicht umziehen.«
»Dann brechen wir direkt von hier auf und fahren hinüber. Ich lasse unten um drei viertel sieben einen Wagen warten.«
»Bis dann.«
Als sie hinausging, warf er ihr einen Kuss durch die Luft zu und kehrte danach im Vertrauen, einer tödlichen Kugel ausgewichen zu sein, an seinen Schreibtisch zurück. Wie immer hatte sich Maris mit ein wenig Aufmerksamkeit und Zuneigung beschwichtigen lassen. Trotzdem war ihr Ärger wegen des Treffens mit WorldView keine Kleinigkeit.
Bei näherer Betrachtung war er heute nur um Haaresbreite nicht aufgeflogen. Mit Wonne hätte er deshalb zugesehen, wie Morris Blume langsam und qualvoll verblutete. Blume hatte Maris von diesem Treffen erzählt und ihn damit auf seine Weise an die näher rückende Deadline erinnert. Blume hatte eine außerplanmäßige Gelegenheit zu einem Machtspielchen benutzt, um ihm erneut klar zu machen, dass bei dieser Transaktion letztlich WorldView das Sagen hatte.
Das war knapp gewesen. Und hatte ihn einige kostbare Zeit gekostet. Trotzdem hatte dieser Vorfall auf lange Sicht keinen permanenten Schaden verursacht. Gott sei Dank hatte er Daniel genau für diesen Fall in weiser Voraussicht über das Treffen informiert. Wenn er oder Maris davon gehört hätten – und die Buschtrommeln der Branche waren berüchtigt –, hätte er ihm damit den Wind aus den Segeln genommen.
Die Matherlys waren keine Narren. Trotzdem waren sie nicht im Entferntesten so schlau wie er. Er überließ absolut nichts dem Zufall. Seine Pläne hatte er minutiös und langfristig konzipiert. Deshalb waren eiserne Geduld und Beharrungsvermögen erforderlich, woran es weniger begabten Individuen mangelte.
Neben seinem Instinkt und seiner Intelligenz verließ er sich auf die bestmögliche aller Quellen, eine, die praktisch unfehlbar war und immer im Höchstmaß zur Verfügung stand: die menschliche Natur. Wer die Vorlieben und Abneigungen einer Person kannte, ihre Geheimnisse, Schwächen und Ängste, gewann leicht die Kontrolle über sie.
Er besaß die Gabe, die Menschen genau in die Richtung zu lenken, in die er sie haben wollte, und genau das zu tun, was er wollte. Darin hatte er Talent. Er hatte ein unheimliches Geschick, Leute zu manipulieren
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