Enwor 2 - Die brennende Stadt
Moment Zorn in sich aufsteigen. Er war noch viel zu erschöpft, um den Ernst ihrer Lage wirklich zu begreifen, ihn nicht nur verstandesgemäß zu akzeptieren, sondern wirklich einzusehen, daß Gowenna recht hatte und nicht er. Aber er begriff, daß sie ihn absichtlich verletzte, daß sie ihre eigene Hilflosigkeit und Verzweiflung damit zu kompensieren suchte, indem sie ihm weh tat.
»Wir bleiben den Tag und die Nacht über hier«, sagte er in bestimmendem, abschließendem Tonfall. »Morgen bei Sonnenaufgang brechen wir auf.«
»Und erfrieren in den Bergen.«
Skar zuckte gleichmütig die Achseln. »Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Wir können die erste Nacht in der Höhle verbringen und dann zwei oder auch drei Tage durchmarschieren. Zeit genug, um über die Pässe zu kommen.«
Gowenna fuhr auf, aber Skar duldete keinen Widerspruch mehr.
»Wir brechen morgen bei Sonnenaufgang auf«, sagte er noch einmal. »Vergiß nicht, daß ich jetzt das Kommando habe.«
In Gowennas Augen blitzte es zornig auf. Doch es war nicht mehr der alte Zorn, nicht mehr diese ungebändigte, wütende Kraft, die sie bisher ausgestrahlt hatte, sondern nur noch reiner Trotz.
Aber Skar kannte sie auch gut genug, um zu wissen, daß dieser Trotz bei ihr so gefährlich sein konnte wie wirklicher Zorn, vielleicht noch gefährlicher. Gowenna war nicht halb so beherrscht, wie sie sich stellte. Es mochte sein, daß sie Dinge sagte und tat, zu denen sie sich noch vor wenigen Stunden niemals hätte hinreißen lassen.
»Was ist mit dir?« fragte er leise, beinahe sanft.
»Nichts. Ich —«
»Das stimmt nicht«, unterbrach Skar sie. »Es ist nicht wahr, und du weißt es. Glaubst du nicht, daß es an der Zeit wäre, mir zu vertrauen ?«
Ihre Reaktion überraschte ihn selbst. Er wußte nicht genau, was er erwartet hatte — Spott vielleicht, Ablehnung, Hohn oder Herablassung. Aber es kam nichts von alledem. Der einzige Ausdruck, den er für einen winzigen Moment auf ihren Zügen zu erkennen glaubte, erinnerte an etwas wie Trauer, beinahe Schuldbewußtsein. Aber der Moment verging so rasch, wie er gekommen war. Ihr Gesicht erstarrte wieder zu einer Maske der Unnahbarkeit, und Skar spürte von einer Sekunde zur anderen wieder die alte Kälte und Herablassung.
»Es ist nichts, Skar«, sagte sie kühl. »Ich bin erschöpft und habe Schmerzen, das ist alles.« Sie wandte sich brüsk um, ging mit ein paar raschen Schritten zu den beiden Sumpfmännern hinüber und begann sich leise mit ihnen zu unterhalten.
Skar blieb sekundenlang reglos stehen, drehte sich dann ebenfalls um und ging zur entgegengesetzten Seite des Raumes. Erschöpft ließ er sich an der Wand zu Boden sinken, bettete die Stirn auf die angezogenen Knie und schloß die Augen. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und sein Herz begann urplötzlich und ohne ersichtlichen Grund so rasch zu schlagen, daß ihm schwindelig wurde.
Es war zuviel gewesen. Sein Körper revoltierte, obwohl er bereits größere Strapazen ausgestanden hatte. Aber es war nicht sein Körper, nicht die Muskeln und Sehnen, die aufgaben, sondern sein Geist. Er hatte sich auf ein Spiel eingelassen, das zu groß für ihn war, kämpfte einen Kampf gegen Windmühlenflügel. Er kam sich vor wie ein Mann, der blindlings Türen und Mauern einrannte und nicht begriff, daß hinter jeder Tür eine weitere, hinter jeder Wand eine noch höhere warten würde, ganz egal, wie viele er einriß.
Er hatte geglaubt, Vela überlisten zu können, verdammter Narr, der er war. Er hatte geglaubt, sie mit ihren eigenen Waffen schlagen zu können, mit Waffen, von denen er nicht einmal wußte, wie sie aussahen, geschweige denn, wie er sie zu führen hatte. Der einzige, der getäuscht worden war, das wurde ihm mit plötzlicher Deutlichkeit klar, war er selbst.
Er war sich nicht einmal sicher, ob er sich nicht selbst belogen hatte, ob seine eigene Einschätzung seiner Kraft und Unnahbarkeit nicht ebenso falsch wie Velas Versprechungen gewesen war. Er hatte sich eingeredet, sich nicht erpressen zu lassen, nicht zu gehen, um Del zu retten, sondern um Velas Pläne zu hintertreiben.
Aber nicht einmal das stimmte. Er war wegen Del hier, um sein und sein eigenes Leben zu retten, aus keinem anderen Grund. Der Stein war nur ein Vorwand, ein weiterer Knoten in dem Gespinst von Lügen und Halbwahrheiten, in das er sich mit jedem Tag tiefer verstrickte.
Seine Hand glitt unter das Hemd und umklammerte den Brustbeutel. Das Leder war unter der Hitze rissig
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