EONA - Das letzte Drachenauge
auf ihrer Oberfläche. Die Erinnerung an die Berührung unserer Lippen und unserer Körper ließ mich erbeben.
»Ich weiß.« Ich hob die andere Hand zu dem schimmernden Schmuckstück. Zog Kinra mich zu der Perle oder war es mein eigenes Begehren?
»Wisst Ihr, was passiert, wenn Ihr die Perle berührt?« Er atmete durch den Mund, schnell und heftig. »Es ist so, als durchzuckten mich tausend Wonneblitze.«
»Ich glaube, die Perle ist mit der Energiewelt verbunden«, flüsterte ich. Und vielleicht mit einer alten Verräterin, doch meine Angst vor Kinras Einfluss ging im Hämmern meines Herzschlags unter.
Er lachte leise. »Ihr wisst, dass sie mit mehr verbunden ist als mit der Energiewelt.«
Sein spöttischer Ton entlockte auch mir ein Lachen, doch das Beschwörende in seinen Worten sandte eine leise Woge des Begehrens tief in das Delta meines Körpers.
Er blickte zur Höhlendecke hinauf und biss kurz die Zähne aufeinander. »Wenn Ihr die Perle berührt, könnte das die zehn Drachen herbeirufen?«
»Vielleicht«, erwiderte ich, doch ich konnte meine Hand nicht wegziehen. »Ich weiß es nicht.«
Ich sah, wie er gegen die Vorsicht ankämpfte, sah, wie Pflichtgefühl mit Begehren stritt. Es war auch mein Kampf. Wir standen einander zugewandt da, meine Fingerspitzen hielten über der Perle inne und unsere einzige Verbindung war seine Linke um mein Handgelenk. Und doch hatte ich das Gefühl, als würde er mich mit seinem ganzen Körper halten.
Er warf den Kopf in den Nacken und das Blut in seiner Halsschlagader pochte. »Gift der Götter!« , fluchte er und schob mich von sich weg.
Ich schwankte, noch ganz gefangen in dem Augenblick, und mein Körper strebte zu ihm hin.
»Eona, nein!« Er senkte den Kopf und warf mir einen entschlossenen Blick zu. »Komm nicht näher.«
»Willst du nicht?«, fragte ich – schamlose Worte, die aus einem alten, abgespaltenen Teil meiner selbst stammten.
»Natürlich will ich«, brachte er mühsam hervor. »Bist du blind?« Er presste den Handballen auf den Mund und wandte sich ab. Diesmal war sein Lachen rau. »Es wäre die Sache beinahe wert.«
Ich ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, etwas Kontrolle über das Chaos zu bekommen, das in meinem Hua tobte.
Kygo ging zu dem umgeworfenen Tisch, bückte sich, hob ihn ächzend vor Anstrengung an und knallte ihn wieder auf die Beine. Er starrte eine Weile auf die geborstene Platte und schlug mit der Faust gegen die Kante, sodass der ganze Tisch quietschend über den Steinboden rutschte. Ich zuckte zusammen. Er hielt sich die Hand und ein Rinnsal Blut lief ihm zwischen den Fingerknöcheln herunter.
»Immer pflichtbewusst«, bemerkte ich, halb ungehalten und halb den Tränen nah.
Mit dem Rücken zu mir, stützte er beide Hände auf die Tischplatte, den Kopf gesenkt. Mein Blick folgte dem Umriss seiner breiten Schultern und glitt zu seinen schmalen Hüften hinab.
»Auch wenn wir die Weissagung und Sethons Überlegenheit gern los wären: Wir dürfen sie nicht ignorieren, Naiso«, sagte er barsch und bedacht.
Naiso. Ich schloss die Augen. Bisher hatte dieses Wort süße Gemeinschaft heraufbeschworen. Nun war es dazu bestimmt, Distanz zu schaffen.
»Wir werden uns ostwärts halten. Dort ist unser bestes Schlachtfeld«, sagte er und fasste sich mit der blutenden Hand an den Hals. »Aber vorher befreien wir Ido, damit Ihr Gewalt über das Gan Hua bekommt.«
Eine Mischung aus Angst und Erleichterung pochte in mir im Rhythmus meines Herzschlags. »Und wenn ich meine Macht bemeistert habe …?« Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen, unsicher, was ich anbot, doch ich bot es dennoch an.
Er drehte sich zu mir um und eine Seite seines Gesichts lag im Schatten. »Dann verändert sich alles.«
Ich senkte den Kopf. Daran hatte ich keinen Zweifel.
12
D er Wagen rutschte in eine tiefe Rille im Weg. Ich wurde gegen Vidas kräftige Schulter geschleudert und klammerte mich fester an die niedrigen umlaufenden Wagenbretter in meinem Rücken. Wir hatten zwei heiße, drückende Tage gebraucht, um die Stadt zu erreichen, und obwohl der Plan, Ido zu befreien, immer wieder durchgesprochen worden war, hatte ich große Bedenken angesichts der vielen Gefahren. Und nicht gerade die kleinste war der Kontrollpunkt am Stadttor vor uns.
»Ihr seid wirklich zaundürr«, sagte Vida und ihr typischer direkter Ton klang hoch und gereizt.
Wir beide hatten fadenscheinige, zerlumpte Gewänder an und trugen das verfilzte Haar offen; unsere Haut war
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