Epicordia
deine Finger bei dir lassen
könntest«, murmelte er und ging mit ausladenden Schritten zu der Holztür, die
dem Häuschen als Eingang diente.
Noch bevor er anklopfen konnte, erwachte die Harley im
offenen Schuppen zum Leben. Sie zündete und fuhr â völlig selbstständig
wohlgemerkt â rückwärts auf den Hof, wendete und blieb Lara und ihren Freunden
gegenüber stehen. Sie hielt die Balance von alleine, ohne dass überhaupt jemand
darauf saÃ.
Und dann geschah das
Merkwürdigste: Die Maschine nahm Schwung und schlitterte
im Staub des Hofes um sie herum. Es wirkte beinahe so, als starrte sie sie an,
und die Motorengeräusche variierten in ihrer Tonlage wie das Knurren eines sehr
groÃen und sehr gefährlichen Raubtieres.
Tom rührte sich nicht mehr, während das Motorradwesen
sich derart bedrohlich vor ihnen aufbaute.
Doch im Gegensatz zu Patrick oder Lara, blieb ihm
nicht vor Staunen der Mund offen stehen. Er wirkte gefasst, ganz und gar nicht
überrascht.
»Alisha«, rief er, ohne jedoch die mutierte Harley aus
den Augen zu lassen. »Alisha Folders!«
Neben ihm wurde ein Schlüssel im Schloss der Haustür
gedreht und sie ging auf. Eine dicke Frau erschien darin. Sie hatte eine breite
Nase und lange Haare, die wohl ehemals rot gewesen sein mochten, doch heute nur
noch blassrosa waren. Ihre Augen wirkten sehr ernst, als sie erst Tom und dann
seine Begleiter erblickte.
»King Kong! Brutus!«, rief sie. »Ist gut, die tun uns
nichts.«
Augenblicklich hörte das
Motorrad mit seinen Drohgebärden auf und verschwand brummend, blubbernd und
stotternd wieder im Schuppen. Dort stand es artig, wie ein Motorrad es nun
einmal zu tun hatte, als wäre nie etwas geschehen.
Das Kapuzineräffchen wiederum flitzte die paar Meter
zu der Frau herüber und war mit einem Satz auf ihrer rechten Schulter gelandet.
Von dort beäugte es Tom, Patrick und Lara und keckerte unzufrieden.
»Tom Truska«, sagte Alisha Folders zu dem
hochgewachsenen Mann mit den rabenschwarzen Wuschelhaaren, überbrückte die
Distanz zwischen ihnen mit wenigen Schritten und drückte ihn an sich wie einen
verlorenen Sohn.
Tom sah â wie immer, wenn er jemanden umarmen sollte â
erschreckend plump aus. Allerdings trug der geschätzte halbe Meter
GröÃenunterschied auch sein Ãbriges zu der Komik der Situation bei.
Alisha Folders wich schlieÃlich einen Schritt zurück
und musterte ihn von oben bis unten â das Kapuzineräffchen auf ihrer Schulter
tat es ihr gleich.
»Das ist ja eine Ewigkeit her, Junge.«, meinte sie.
»Gut siehst du aus. Aber besorgt.«
Tom nickte.
»Das kommt auch in etwa hin«, antwortete er steif.
Dann wanderte Alisha Foldersâ Blick weiter zu Lara und
Patrick.
»Und das sindââ¦?«, setzte sie an.
»Patrick Davenport«, erklärte Tom. »Und Lara McLane.«
»McLane?«, entfuhr es der dicken Frau beinahe
erschrocken. »Ist das dein Ernst ?«
»Voll und ganz«, bestätigte Tom. »Du warst eine
Ewigkeit nicht in Ravinia, oder?«
Doch seine Worte verhallten in der Mittagssonne der
Provence, während Alisha Folders zu Lara hinübereilte.
»Mädchen«, rief sie aufgeregt. »Lass dich ansehen.«
Sie packte Lara bei den Schultern und nahm sie
eingehend in Augenschein. Das Kapuzineräffchen kletterte zu ihr hinüber,
während Lara völlig überrascht dastand.
»Du bist tatsächlich Laylas Tochter«, staunte Alisha.
»Du hast ihre Augen.«
»Ãh«, machte Lara.
»Ach, wie dumm von mir«, winkte die Frau ab.
»Entschuldige, ich vergesse meine Manieren. Ich bin Alisha, Alisha Folders. Ich
bin die Mechanikerin, die deine Mutter â«
»Ich weiÃ, wer Sie sind«, kam Lara ihr zuvor, etwas
überrollt von der Herzlichkeit der Frau.
»Oh bitte, nenn mich Alisha!«, forderte diese sie auf.
Sie drehte sich zu Tom um.
»Wie ist das möglich?«, fragte sie ihn. »Wieso ist sie
bei dir und wasââ¦?«
»Henry«, sagte Tom nur und es huschte tatsächlich der
Schatten eines Lächelns über sein Gesicht. »Henry hat sie eines Tages zu
Baltasar geschickt. Und nach dessen Tod ist sie nun bei mir.«
»Baltasar ist tot?«, fragte Alisha mit groÃen Augen.
»Was ist passiert?«
»Du warst wirklich lange nicht in Ravinia, oder?«
»Sehe ich so
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