Epsilon
eigentlich wollte. Das Gefühl war mit Sicherheit eine Folge der Programmierung, die man an ihm vorgenommen hatte. Warum konnte er nicht akzeptieren, dass nichts von dem, was er für Susan empfunden hatte – oder was er glaubte, das sie für ihn empfunden hatte –, je real gewesen war?
Allerdings war das, was er jetzt fühlte, mit Sicherheit real. Ein Gefühl, eine Regung, ob Liebe, Hass oder Furcht, war per Definition real, oder nicht? Die Methoden, mit denen diese Gefühle hervorgerufen wurden, konnten hinterfragt werden und sich als zweifelhaft herausstellen, nicht jedoch das Gefühl selbst. Sollte er also aufgrund dessen handeln, was er fühlte, oder aufgrund dessen, was er als fragwürdigen Ursprung dieses Gefühls vermutete?
Charlie sollte nie einen Weg aus diesem Dilemma finden. Er rannte einfach los. Als Susan seine Schritte hinter sich hörte, blieb sie stehen und drehte sich um. Diesmal bemühte sie sich nicht, sicheren Abstand zu ihm zu halten. Sie sah einfach zu ihm auf, mit offener, erwartungsvoller Miene, und wartete darauf, dass er etwas sagte.
»Ich musste sichergehen«, erklärte Charlie. »Es hatte keinen Zweck, bevor ich nicht wusste, dass Sie es wirklich ernst meinen.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber Charlie glaubte zu bemerken, wie ihre Muskeln sich entspannten. Eine Art Erleichterung? Vielleicht bildete er es sich aber auch nur ein. Susan nickte bloß ganz leicht und sagte einfach: »Danke, Charlie.«
Charlie blickte an der anonymen Fassade des Hotels mit den symmetrisch angeordneten Balkons vor jedem Zimmer empor. »Ihr Sohn und Ihr Vater – in welchem Stock sind sie?«
»Im siebten.«
»Wie viele Leute sind bei ihnen?«
»Ich weiß nicht.«
»Es wird eine kleine Armee sein, wenn sie festgestellt haben, dass wir entwischt sind.«
Susan blickte auf die Uhr. »Wir sind erst zwanzig Minuten weg. Möglich, dass sie es noch gar nicht bemerkt haben.«
»Nun, das wird sich bald ändern. Wir müssen uns beeilen.« Er sah ihr fest in die Augen. »Ich bin auf Ihrer Seite. Aber ich habe eine Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Ich würde mich sehr viel wohler fühlen, wenn dieser Zapper sich in meiner Tasche statt in Ihrer befände.«
Sie zögerte nur kurz, dann griff sie in ihren Mantel. »Hier. Viel Vergnügen damit.« Sie hielt ihm das Gerät hin. »Obwohl es Ihnen nicht viel nützen wird.«
»Es geht mir eher darum, dass es mir nicht schaden wird.« Charlie nahm ihr den Zapper vorsichtig aus der ausgestreckten Hand.
»Es wird Ihnen auch nicht schaden. Probieren Sie es aus.«
Er sah sie verwirrt an. Sein Blick glitt von dem winzigen Gerät in seiner Hand zu ihrem Gesicht und dann wieder zurück. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Nur zu – drücken Sie darauf!«
Charlie starrte sie ungläubig an. Sie schenkte ihm ein leichtes, ermutigendes Lächeln. »Vertrauen Sie mir. Nichts wird geschehen. Ich würde doch jetzt nicht riskieren, dass Sie sich selbst außer Gefecht setzen, oder?«
Behutsam nahm Charlie das schmale, viereckige Gerät zwischen Daumen und Zeigefinger – und drückte zu. Kein schwarzer Vorhang fiel. Es war genauso, wie Susan gesagt hatte: Nichts geschah.
Dann spürte er plötzlich, dass doch etwas geschah, etwas ganz anderes als das, was er erwartet hatte. Als er Susan ansah, musste er den Blick heben, immer weiter. Denn sie schwebte direkt vor ihm in der Luft – zwei Meter zuerst, dann drei über dem schwarzen Teer des Parkplatzes.
Sprachlos öffnete Charlie den Mund. Er konnte nicht glauben, was er sah. Irgendwo im Hintergrund gingen zwei Leute zu ihrem Wagen und stiegen ein, ohne auch nur einen Blick auf das unglaubliche Phänomen zu werfen, das sich vor ihren Augen abspielte. Ihre Gleichgültigkeit, das Geräusch des startenden Motors, das Licht der Scheinwerfer, das über die ganze Szenerie glitt, all das trug nur noch zu Charlies betäubendem Gefühl der Unwirklichkeit bei.
Und da erkannte er plötzlich, was hier vor sich ging – natürlich! Ein tiefes Stöhnen der Resignation entrang sich seiner Kehle. Er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich die Szenerie nicht verändert; die Rücklichter des Wagens verschwanden eben in der Ferne, und Susan schwebte noch immer vor ihm in der Luft und blickte auf ihn herab.
»Es tut mir so leid, Charlie«, sagte sie, und in ihrer Stimme schwang echtes Bedauern mit, »aber ich musste ganz sichergehen. Und das ist unsere einzige Form der Kommunikation, die sie nicht überwachen
Weitere Kostenlose Bücher