ePub: Ashes, Ashes
von Footballmannschaften, von Lehrern und vom Schulpersonal. Beim Foto der Krankenschwester hielt sie inne. In ihrer weißen Kleidung sah Mrs. Reynolds so sauber, adrett und vertrauenserweckend aus.
Bei ihrer letzten Begegnung mit Lucy, als sie schon wieder zu einer Blutuntersuchung gerufen worden war, war Mrs. Reynolds allerdings nicht so ruhig gewesen, sie wirkte eher zerstreut. Selbst ihr glattes blondes Haar, das normalerweise zu einem säuberlichen Knoten zusammengefasst war, klemmte unordentlich hinter ihren Ohren. Um die Augen hatte sie dunkle Ringe. Es hatte weder das übliche Geplauder noch die beiläufigen Fragen zu Lucys Gesundheit gegeben oder dazu, wie das Schuljahr so lief. Mrs. Reynolds war nervös und besorgt gewesen. Und irgendwie hatte sie die Blutabnahme vermasselt. Anstatt in die Nadel war das Blut über Lucys Arm auf den schwarz-weißen Linoleumboden gelaufen und die weiße Schürze der Schwester hatte es auch bespritzt. Obwohl Lucy aus dem Aufklärungsunterricht im letzten Jahr wusste, dass die Schwester selbst die peinlichstenFragen, die Chad und seine bescheuerten Freunde ihr stellten, zu parieren wusste, war sie ins Stottern geraten, als Lucy sie fragte, wie viele Schüler mittlerweile krank waren und ob die Krankheit ansteckend war.
»Was ist es denn überhaupt?«, wollte Lucy wissen. »Streptokokken? Oder Pfeiffer’sches Drüsenfieber?« Aus gewissen Gründen hatte Pfeiffer’sches Drüsenfieber einen Coolness-Faktor. Es bedeutete, dass man mit jemandem geknutscht hatte. Julie Reiningers Ruf zum Beispiel hatte sich dadurch zementiert, dass sie diese Krankheit im vergangenen Winter gehabt hatte und einen ganzen Monat lang nicht zur Schule kommen konnte.
»Oder ist es vielleicht diese Vogelgrippe, von der in den Nachrichten ständig die Rede ist?«, hatte Lucy weitergefragt. Mrs. Reynolds Finger zuckten daraufhin merkwürdig und sie wich ihrem Blick aus. Und dann biss sich Lucy auf die Lippe, weil die Schwester ihr die Nadel erneut in den Arm pikte. Kurz darauf hielt Mrs. Reynolds das Röhrchen Blut in der Hand. Sie verließ den Raum und machte die Tür fest hinter sich zu. Lucy hörte, dass sie sogar abschloss. Sie wartete eine gefühlte Ewigkeit, bis ihre schwitzenden Oberschenkel auf dem Papier der Behandlungsliege klebten und sie merkte, dass sie auf die Toilette musste. Nach einem Blick auf die verschlossene Tür und das Mattglasfenster stand sie auf und ging in dem kleinen Raum umher. Dabei zog sie Schubladen auf, sah sich die in Plastik verpackten Spritzen an, die Zungenspatel mit Zimtgeschmack, das Modell des weiblichen Reproduktionssystems aus leuchtend lila und rosa Plastik –wobei Lucy sich fragte, ob die Farben anatomisch richtig waren – und blies ein paar Latexhandschuhe zu Ballons auf. Sie versuchte, nicht daran zu denken, wie dringend sie musste. In einer der unteren Schubladen lag ein dicker Stapel Akten. Lucy wollte die Schublade gerade wieder schließen, als ihr Blick auf den Namen »Chad Grey« fiel. Beiläufig schlug sie die Akte auf. Chad fehlte seit einigen Tagen, allerdings konnte Lucy nicht behaupten, dass sie ihn vermisste. Chad musste einfach immer einen blöden Spruch ablassen, wenn Lucy in der Halle an seinem Schließfach vorbeikam. Am liebsten etwas, das sich irgendwie auf ihren Namen reimte. »Flusi« genannt zu werden oder »Pampelmusi« war zwar keine schlimme Beleidigung, aber es war schier unmöglich, ungerührt zu seinem Platz zurückzukehren, wenn ein Grüppchen Jungs es einem leise zuraunte. Vielleicht litt Chad ja an einer sexuell übertragbaren Krankheit oder so ...
Ein Schüler-Foto von der Größe einer Brieftasche war an den oberen Rand der Seite geheftet. Mit einem schwarzen Filzstift war ein dicker Strich über seine Augen gezogen und neben seinem Namen prangte der Buchstabe »V«. Lucy hätte gern geglaubt, dass es für »Vollidiot« stand, aber gleichzeitig befürchtete sie, dass es etwas wesentlich Endgültigeres bedeuten könnte. Sie las: »Schüler klagt über Schmerzen im Bauchbereich, Fieber, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Übelkeit. Keine Wunden. Subkonjunktivale Blutungen, subkutane Blutungen. Verdacht auf Variante der Bluterkrankheit. Zu weiterer Untersuchung an Dr. Lessing/R. Island überwiesen.«
Als Nächstes fand Lucy eine Akte für Hilly Taylor, eine für Samantha Barnes und eine für den Riesenblödmann AJ Picard. Und plötzlich fiel Lucy auf, dass sie sie alle schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte. Sie hatte
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