ePub: Ashes, Ashes
davon, und Lucy sah ihr nach, wie sie sich langsam entfernte, stehen blieb, um mit jemandem zu sprechen, eine Hand auf eine Schulter legte, ein kleines Kind, das auf sie zulief, kurz in die Arme nahm und hier und da schwatzte.
Lucy wandte sich an Aidan, der seine geprellte Hand öffnete und schloss. »Was heißt das: Żabka ?«
»Es heißt ›kleiner Frosch‹. Sie nennt alle so, die jünger als sechzig sind.«
»Aha. Muss man sich denn vor ihr in Acht nehmen? Sie schüchtert mich irgendwie ein.«
»Mich schüchtert sie auch ein bisschen ein, aber du brauchst keine Angst zu haben.« Aidan sah in den Regen hinaus. »Ich bin froh, dass du gekommen bist.«
Lucy starrte auf den Boden. Sie drückte ihre Handrücken gegen ihre heißen Wangen.
»Mir blieb keine Wahl«, murmelte sie und wünschte sofort, sie hätte den Mund gehalten.
Er warf ihr ein kurzes Lächeln zu, das sich in ein Stirnrunzeln verwandelte. »Warum?«
Sie erzählte ihm kurz von dem Tsunami, überging aber die Einzelheiten, weil sie fürchtete, bei dem Gedanken an ihren Unterschlupf in Tränen auszubrechen. Sein Stirnrunzeln wurde noch ernster.
»Tja«, sagte er nach einer Weile. Lucy wandte ihm ihr Gesicht wieder zu. Sie hatte sich mit aller Macht auf eine Wolke konzentriert, die die Form einer Teekanne hatte. »Dann kannst du ja jetzt bei uns bleiben. Wir halten alle zusammen. Niemand ist allein.«
Lucy war sich ihrer Sache nicht sicher. Mit anderen Leuten zusammen zu sein, machte sie nervös. Außerdem bestand die Gefahr, dass die Sweeper kamen. Aber sie musste sich ja nicht festlegen. Sie konnte sich immer noch in der Nacht davonstehlen.
Schließlich räusperte sie sich. »Was glaubst du, warum fangen sie die Leute ein?«
»Ehrlich – ich weiß es nicht.«
»Na gut, aber wohin ...«
»In das Krankenhaus auf der Insel. Von dort kommen dieweißen Vans. Und von dort kamen auch immer alle Antworten.« Er zog die Augenbrauen zusammen. »Und alle Lügen.«
»Das leuchtet mir ein«, sagte Lucy langsam. Sie fürchtete sich, die nächste Frage zu stellen, darum entschied sie sich für eine andere. »Und wie oft waren sie schon hier?«
»Bisher zweimal. Erst haben sie immer die älteren Leute mitgenommen, die, die nicht so schnell waren. Aber jetzt nehmen sie jeden mit, der gesund ist. Vor allem Kinder. Heute waren ein paar Leute von ...« Er hielt inne, suchte nach dem richtigen Wort. »... von woanders hier. Sie waren zum Handeln gekommen. Sie wussten nicht, wie sie sich verhalten mussten.«
»Die, die sie mitgenommen haben«, brachte Lucy durch ihren zugeschnürten Hals hervor. Sie brauchte dringend einen Schluck Wasser. Komisch, dass sie gleichzeitig so durchnässt und so durstig sein konnte. »Werden sie je zurückkommen?«
Aidan sah sie eindringlich an und sein Gesicht verdunkelte sich. Als er schließlich antwortete, konnte Lucy ihn kaum hören.
»Nein.«
8. KAPITEL
Die Alte musterte sie finster. Lucy senkte den Blick. Ein kleiner Schweißtropfen rann ihren Hals hinab. Der Regen hatte so schnell aufgehört, wie er begonnen hatte, und nun brannte wieder die Sonne herab. Lucy hatte das Sweatshirt ausgezogen und zusammen mit ihrer Lederjacke und ihrem Rucksack auf einen Haufen geworfen. Aber auch in dem langärmeligen T-Shirt, das sie jetzt noch anhatte, war ihr heiß. Außerdem war sie von oben bis unten mit Dreck beschmiert und – wie sie heimlich vermutete – mit Mist. Was immer Lucy hier erwartet hatte – das war es jedenfalls nicht. Sie stützte sich auf ihre Schaufel und sah die geraden Gemüsereihen entlang. Ihr Blick wanderte über die Spaliere aus verbogenen Eisengittern, die man in den Boden gesteckt hatte und an denen sich Ranken emporwanden, und über die Gewächshäuser aus alten Fensterscheiben.
Ein wenig weiter weg arbeiteten ebenfalls Leute. Sie bewegten sich langsam und ihre Gesichter waren – soweit Lucy es erkennen konnte – irgendwie seltsam. Sie hatten Beulen und Auswölbungen, wo keine hätten sein sollen, und ihre Haut war zwar glatt, aber eigentümlich verfärbt. Sie trugenKapuzen und lange Gewänder. Ob es Mönche waren? Lucy war zu erschöpft, um über diese Frage lange zu grübeln.
Diese gemeine Alte hatte Lucy gezwungen, Kartoffeln, Karotten und Rote Bete auszugraben. Sie musste Bohnen und Zucchini ernten, Tomaten an Stangen binden und Schnecken und Käfer von Mangold- und Spinatblättern lesen, bis ihre Finger vor hartnäckiger schwarzer Rückstände aus Schleim und Insektenpartikeln klebten. Aber
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