ePub: Der letzte Zauberlehrling
protestierten zwar, aber für einen Dämon ist Willensstärke eine Selbstverständlichkeit, und so biss ich die Zähne zusammen und machte mich auf den Weg. Trotzdem konnte ich ein gelegentliches Ächzen und Stöhnen nicht unterdrücken. Schmerz ist Schmerz, und ich stellte mir zum wiederholten Mal die Frage, ob dieser unpraktische, zu Abnutzung neigende Körper mein Dämonen-Ich nicht vielleicht doch negativ beeinflusste. Das Sein bestimmt das Bewusstsein , hatte ein irdischer Philosoph einst geschrieben. Für uns Dämonen galt die umgekehrte Devise, denn wir bestimmten unsere Form allein durch unser Denken. Aber wer wusste schon, was dreitausend Jahre in einem solchen Körper alles anrichten konnten! Das würde ein weiteres willkommenes Thema für meine zukünftigen Studien darstellen.
Zwei Stunden später war ich wieder an meinem Ausgangspunkt angelangt. Ich hatte einen schmalen Weg gefunden, der an der Klippe hinab bis ans Ufer führte, und war von beiden Seiten um den Vorsprung mit dem Haus darauf herumgelaufen. Die Felswand war unüberwindlich. Es führte weder ein Pfad nach oben, noch gab es Absätze oder Unebenheiten, an denen man hätte Halt finden können. Das war wohl auch der Grund, warum hier unten keine Wachen postiert waren.
Ich musste mir auf einem anderen Weg Zutritt verschaffen. Von meinem Beobachtungsposten aus sah ich, wie jede halbe Stunde ein Lieferwagen einer Feinkosthandlung vorfuhr. Vielleicht war das eine Möglichkeit, durch die Absperrung zu gelangen. Ich prägte mir den Namen und die Anschrift des Geschäfts ein und trottete in die Innenstadt zurück.
Ich lief die Straßen der Stadt so systematisch wie möglich ab. Einmal fuhr ein Fahrzeug mit der Aufschrift des Feinkostgeschäfts an mir vorbei, aber ich wusste nicht, ob es auf Auslieferungstour oder auf dem Rückweg war, und sah davon ab hinterherzulaufen. Ich empfand das nicht nur als würdelos, es hätte auch nichts gebracht, denn das Auto war deutlich schneller als ich.
Eine Mutter kam mir mit einem kleinen Jungen an der Hand entgegen. Er riss sich los und stürzte auf mich zu. »Mama, Mama!«, rief er. »Ein lieber Hund!«
Ich knurrte ihn an, um ihn zu verscheuchen, aber die Mutter hatte ihn schon wieder eingefangen. Sie schaute mich mit einem misstrauischen Blick an. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du keine fremden Hunde anfassen sollst?«, herrschte sie ihren Sohn an. »Sieh dir dieses schmutzige Tier nur an! Wahrscheinlich ist er voller Flöhe und hat irgendwelche schlimmen Krankheiten.«
Sie packte ihr Kind und zog es von mir fort. »Man sollte die Polizei benachrichtigen«, sagte sie. »Unverantwortlich, solche Tiere frei herumlaufen zu lassen.«
Ich verschwand so schnell ich konnte hinter ein paar Mülltonnen in einer Seitengasse. Das fehlte mir noch, dass mir jemand die Polizei auf den Pelz hetzte! Ich blickte an mir herab. Tatsächlich hatten die Anstrengungen der letzten Tage ihre Spuren hinterlassen. Mein Fell war verfilzt und mit kleinen Erdklumpen durchsetzt. Ich gab eine prächtige Beute für einen Hundefänger ab. Ab sofort war es sicher ratsam, mich möglichst unauffällig und so weit entfernt von den Passanten wie möglich zu bewegen.
Das machte mir meine Aufgabe nicht eben leichter. Doch ausnahmsweise kam mir das Glück zu Hilfe. Ich drückte mich gerade an einer Toreinfahrt vorbei, als ich jemanden pfeifen hörte, so wie man nach einem Hund pfeift. Automatisch blieb ich stehen. Am Ende der Einfahrt stand eine Gruppe von drei Männern, von denen jetzt einer langsam auf mich zukam.
»Braves Hundchen«, sagte er in besänftigendem Ton. »Gutes Hundchen. Komm doch mal zu mir. Ich tu dir auch nichts. Braves Hundchen.«
Wenn es möglich gewesen wäre, dann wären mir die Haare zu Berge gestanden. Ich wollte gerade kehrtmachen und das Weite suchen, als ich auf der weißen Jacke des Mannes den Schriftzug des Feinkostgeschäftes entdeckte, nach dem ich suchte. Ich hielt meinen Fluchtreflex im Zaum und blieb stehen.
»Braves Hundchen.« Der Mann war inzwischen ganz nah an mich herangekommen. Er ging in die Hocke und streckte vorsichtig seine Hand aus. Dann streichelte er sanft meinen Kopf. Es war ein widerliches Gefühl, von einem so niedrigen Lebewesen in dieser Art berührt zu werden, aber ich hielt still. Vielleicht führte er mich an mein Ziel.
Er kraulte mich eine Weile zwischen den Ohren und redete die ganze Zeit in diesem dämlichen Tonfall auf mich ein. »Hast du dein Herrchen verloren, Hundchen?
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