ePub: Der letzte Zauberlehrling
trat zu ihm und zog mit dem Daumen ein Augenlid hoch. Er nickte befriedigt.
»Gut. Wir können gehen.«
»Und wohin?« Ich fühlte mich kraft- und machtlos. Nepomuks Verrat hatte meine letzte Hoffnung zunichtegemacht.
»Dahin, wo sie uns am wenigsten vermuten werden, alter Junge. In die Höhle des Löwen.«
Neunzehntes Kapitel
in dem Humbert und Moriarty ihre Gefährten unter unschönen Umständen wiedersehen
D ie Höhle des Löwen war das Hotel Metropol , das Hauptquartier der Sicherheitspolizei.
»Ich schätze mal, sie werden Prometheus, Agnetha und Samira dort festhalten«, erklärte Moriarty, während wir in einem kleinen Imbiss saßen und uns mit belegten Baguettes stärkten.
»Und Sie sind überzeugt, dass die Sicherheitspolizei sie festgenommen hat?«, fragte ich. »Vielleicht sind sie ihnen entkommen und halten sich irgendwo in der Stadt versteckt.«
Der Magier schüttelte den Kopf. »Höchst unwahrscheinlich. Außerdem sagt mir mein Bauch, dass sie dort drin stecken, und dem trauen wir mehr als dem Verstand, wie du weißt. Meistens jedenfalls.«
»Aber wie wollen wir sie da rausholen? Können Sie ein ganzes Hotel versteinern, so wie die drei Männer vorhin?«
Moriarty lächelte wehmütig. »Das funktioniert leider nicht, alter Knabe. Dazu hätte ich bei einem Großmeister studieren müssen. Bei einem besonders mächtigen Großmeister.«
»Und was machen wir dann?«
Moriarty senkte die Stimme. »Wir werden ganz einfach ein wenig herumspionieren. Und danach entscheiden wir.«
Das Essen hatte meine Kräfte und auch meinen Kampfgeisteinigermaßen wiederhergestellt, die beide nach Nepomuks Geständnis auf einen Tiefpunkt gefallen waren. Ich wusste zwar nicht, was genau Moriarty sich unter diesem Herumspionieren vorstellte, aber es war bestimmt besser, als untätig herumzusitzen. Wir brauchten Prometheus’ Zauberkräfte, wenn wir Pompignac stoppen wollten.
Der Imbiss, in dem wir saßen, wurde vorwiegend von einfachen Leuten besucht, Arbeitern und kleinen Angestellten aus dem Viertel, und niemand schenkte uns groß Beachtung. Deshalb blieben wir dort, bis die Abenddämmerung hereinbrach, bevor wir uns auf den Weg zum Hotel machten.
Das Metropol war einst gewiss eines der besten Häuser am Platz gewesen. Es erstreckte sich fast über einen ganzen Block und war mit zahlreichen Erkern und Türmchen versehen, in denen sich Zimmer und Suiten verbargen. Allerdings bröckelte inzwischen an vielen Stellen der Fassade der Putz ab, und einige Fenster in den oberen Stockwerken waren mit Brettern verriegelt. Von der Leuchtschrift oberhalb der Eingangstür ging das »l« am Ende nicht, und das »e« flackerte mal an, mal aus.
Wir bummelten langsam auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorbei. Vor dem Hoteleingang parkten mehrere schwarze Limousinen, und in der hell erleuchteten Empfangshalle sahen wir Männer hin und her eilen, viele von ihnen in den bekannten langen Mänteln und mit Schlapphüten auf dem Kopf oder in den Händen.
»Wir sollten mal nach dem Dienstboteneingang sehen«, schlug Moriarty vor. Wir umrundeten den Block und stießen auf der Rückseite auf eine Toreinfahrt, durch die wir inden Innenhof des Hotels gelangten, in dem ein reges Treiben herrschte. Dutzende von Lieferwagen standen herum. Aus einigen wurde frisch gewaschene Bettwäsche ausgeladen und ins Haus getragen, aus anderen Körbe mit Gemüse und hohe Kannen mit Milch. Ein Metzgereigehilfe in blau-weiß karierter Jacke schleppte ein halbes Schwein auf dem Rücken in die Küche, während anderswo noch dampfende Brote aus den Wagen einer Bäckerei geholt wurden. Umgekehrt wurden manche der Lieferfahrzeuge mit Schmutzwäsche und leeren Transportbehältern beladen.
Das ganze Geschehen wirkte auf mich irgendwie unwirklich, was vielleicht auch an dem grünlich-grellen Licht der Gaslampen lag, die den Hof erleuchteten. Wir hielten uns am Rand dieses Trubels, in den Schatten der Gebäudewand gedrückt, bis Moriarty einen Jugendlichen in Pagenuniform entdeckte, der soeben das Hotel verließ. »Das ist unser Mann«, sagte er, und wir folgten dem Pagen, der gerade durch die Toreinfahrt verschwand. Auf der Straße holten wir ihn ein.
»Einen Moment, junger Mann«, rief Moriarty. »Wären Sie so freundlich, uns ein paar Informationen zu geben?«
Der Page musterte uns misstrauisch. »Warum sollte ich das tun?«
»Deshalb vielleicht.« Der Magier hielt einen Geldschein in die Luft. Das Gesicht des Jungen hellte sich auf, aber er schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher