ePub: Drachenhaut (German Edition)
ab, und dann brachte ihr Onkel Javidan persönlich einen kleinen Tisch herein, auf dem er Gebäck und Kaffee balancierte, saftiges Obst, gebackenen Milchreis, Kompott und geschlagene Sahne und eine große Schale mit gestoßenem Eis, das mit Rosenwasser parfümiert war. Er stellte den Tisch vor Lilya ab und stützte lächelnd die Hände in die Seiten. »Meine kleine Nichte«, sagte er. »Dass ich dich hier einmal bewirten darf!«
Lilya erwiderte sein Lächeln. Sie hatte ihren Onkel bisher vielleicht fünf- oder sechsmal zu Gesicht bekommen, aber das warenjedes Mal freundliche Begegnungen gewesen, die ihr wohlgetan hatten. Javidan galt als der dunkle Ziegenbock der Familie ‒ ein Sohn des Begs, der als gemeiner Kaffeehausbesitzer seinen Lebensunterhalt verdiente!
Lilya ließ sich aus der kleinen Silberkanne einen starken, schäumenden Mokka einschenken und griff nach einem puderzuckerbestäubten Kuchenstück. Sie biss hinein und sah zu Ajja, die mit gesenktem Blick neben der Tür kniete. »Ich möchte, dass du dich zu mir setzt«, sagte Lilya. »Du sollst auch etwas essen.«
Ajja sah auf, blankes Erstaunen in den Augen. »Ich soll mich neben dich setzen, Schwanenfederchen?«
»Ja, das habe ich gesagt!« Lilya klopfte ungeduldig auf das Polster. »Nun komm schon. Das ist so viel, das schaffe ich nicht alleine.«
Das Kindermädchen blickte fragend den Kaffeehausbesitzer an. Javidan nickte und zuckte die Achseln. »Wenn deine Herrin es befiehlt ...«, sagte er. »Darf ich dir noch etwas bringen? Wonach gelüstet es dich?«
»Dies sind alles meine Lieblingsspeisen. Danke, Onkel Javidan.«
Der Wirt nickte und verbeugte sich lächelnd, dann ging er hinaus.
Ajja kam zögernd zum Tisch und ließ sich umständlich auf einem Polster nieder. »Das schickt sich nicht, mein Rosenblatt.«
»Es sieht doch keiner«, erwiderte Lilya ungeduldig. »Nun hör auf zu jammern, Ajjaja. Probier den Milchreis, er ist köstlich!«
Eine Weile später lehnte sie sich seufzend zurück und nippte an einem Glas mit Eiswasser. »Ich bin so müde, Ajja«, sagte sie. »Wieso können meine Cousinen einen ganzen Tag durch den Basar laufen, ohne sich anzustrengen, und ich schaffe das nicht?«
Das Kindermädchen wischte sich ordentlich die Hände aneinem Tuch sauber und beugte sich vor, um einen Krümel von Lilyas Kinn zu putzen. »Du bist nicht wie die anderen«, sagte sie. »Du bist etwas Besonderes.«
Lilya wurde ärgerlich. »Was ist denn so besonders daran, wenn man nicht mal einen ganz normalen Einkaufsbummel schafft?«, rief sie aus. Sie schob mit einer heftigen Bewegung ihren Schleier zurück, der sie an der Wange kitzelte. Ihr böses Auge tränte vor Anstrengung und sie blinzelte das Wasser aus den Wimpern. Bunte Schlieren und tanzende Funken ließen alles, was sie anschaute, verschwimmen. Sie rieb ungeduldig über das brennende Lid. »Das ist doch das Einzige, was besonders an mir ist«, murmelte sie leise, damit Ajja es nicht hörte. Das Kindermädchen mochte es gar nicht leiden, wenn irgendjemand Lilya kritisierte ‒ noch nicht einmal, wenn sie es selbst tat.
Die Schleier vor ihrem Blick lichteten sich für einen Moment, und sie sah einen Mann in der Ecke des Raumes stehen, der sie anstarrte. Ein Mann? Im Frauenteil des Kaffeehauses? Er war kahlköpfig, hochgewachsen, hager. Etwas an seinem Gesicht war merkwürdig, aber es gelang ihr nicht, es genügend scharf zu sehen. Es war, als könnte ihr gutes Auge an der Stelle des Mannes nur eine Zimmerecke erkennen. Lilya schloss die Lider und öffnete sie, und der Mann war verschwunden. Ein Schatten in dem dunklen Winkel musste sie genarrt haben.
»Was ist, mein Honigtröpfchen? Ist dir übel?«, riss Ajjas besorgte Stimme sie aus ihrer Verwirrung. Sie schüttelte sich und lächelte die Amme an.
»Nein, alles ist gut. Ich bin nur müde. Lass uns gehen, Ajja. Ich möchte noch die Straße der Schmuckmacher besuchen und dann will ich wieder nach Hause zurück.«
Als sie das Zimmer verließen, warf sie noch einen schnellen Blick in die bewusste Ecke, aber dort war nichts, was einem Menschen geähnelt hätte.
Die Träger, die im Schatten an der Hauswand hockten und würfelten, sprangen auf die Füße und holten die Sänfte. Teto und Zorhez nahmen ihren Platz ein, und wieder ging der ruckelnde, schaukelnde Transport voran durch enge Gassen, Gedränge, Eselsgeschrei, wütende Ausrufe, wenn einer der Zungenlosen rücksichtslos jemanden beiseiterempelte. Lilya lehnte an der Rückwand der
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